On Tour: Filmtheater – Gent

Ausstellungsansicht: Eine Reihe Kinosessel vor einer Wand mit gerahmten Fotografien

09.10.2015 – 03.01.2016

Im Kino lassen die Menschen seit beinahe 120 Jahren ihren Sehnsüchten freien Lauf. Dieser magische Ort steht im Mittelpunkt der Ausstellung FILMTHEATER. Kinofotografien von Yves Marchand und Romain Meffre.
Die Pariser Fotografen Yves Marchand und Romain Meffre sind fasziniert von Ruinen: Als fotografische Archäologen begeben sie sich seit 2001 auf Spurensuche in den Ruinen der modernen Industriegesellschaft und machten 2010 mit ihrem Buch „Ruins of Detroit“ Furore, das den faszinierenden Verfall der einstigen US-Auto-Boomtown auf eine sehr individuelle Art dokumentiert. In ihrer Serie „Theaters“ erforschen sie seit 2005 mit einer großformatigen Kamera alte US-Kinopaläste. In den teilweise verfallenen Gebäuden suchen sie nach Bildern, die die „Psychologie einer Ära“ einfangen.

Kontakt

Ausstellungsabteilung
Stefanie Plappert
+49 69 961 220 – 513
ausstellungen@dff.film

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Für Marchand und Meffre sind die alten Kinogebäude mehr als nur architektonische Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit. Für sie sind die leerstehenden oder umgenutzten Filmtheater auch Sinnbild der „gesellschaftlichen Entwicklung der USA“. Sie stehen für die „komplexe Beziehung zwischen Kunst, Geschichte, Wirtschaft und Moderne und verdeutlichen den Wandel hin zu Massenproduktion und Globalisierung“. Aus Sicht Marchands und Meffres zeigen ihre Kinofotografien Räume, in denen „das Spektakel der Moderne“ vonstatten ging.
Das Kino entwickelte sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in rasender Schnelle. In den USA entstanden zwischen 1914 und 1922 rund 4000 Kinos und die Menschen rannten den Kinobetreibern die Türen ein. Es waren die Jahre, in denen die zunehmende Industrialisierung auch dafür sorgte, dass die große Masse der US-Amerikaner nun plötzlich über so etwas wie Freizeit verfügte. Die Filmindustrie reagierte umgehend und baute Kinos: Statt dem Volk schmucklose Betonquader hinzustellen, packte sie die Menschen bei ihren Träumen und Sehnsüchten und baute ihnen Paläste. Tausendfach entstanden opulent ausgestattete, goldsatte Gebäude von unglaublicher architektonischer Pracht. Das Kino war zur Oper der einfachen Leute geworden. Hier fühlten sich Jill und Joe Smith wie die Könige.

Und alle, alle wollten dabei sein: Schon in den 20 er Jahren, gerade einmal drei Jahrzehnte nach der Erfindung des Kinos, weist die Statistik 90 Millionen Besucher pro Woche in den US-Kinos aus, und das bei einer Bevölkerungszahl von rund 123 Millionen. Ein gigantischer Boom, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch einmal Fahrt aufnehmen würde, um erst nach der Erfindung des Fernsehens in sich zusammenzufallen. In der Folge setzte in den 60er Jahren das große Kinosterben ein und die wunderbaren alten Filmpaläste standen leer, verfielen oder wurden umgenutzt: als Fitnessstudio, Supermarkt oder Busgarage. Marchand und Meffre fotografieren diese alten Kinos seit neun Jahren. Auf unzähligen Reisen durchmaßen sie die USA von Nord nach Süd und Ost nach West – immer auf der Suche nach alten Kinos, die sie stets zu zweit, aber mit einer Kamera fotografieren.

30 Aufnahmen der Theaters-Serie bilden den Schwerpunkt der Ausstellung FILMTHEATER. Viele der Fotos entfalten erst auf den zweiten und dritten Blick ihre Wirkung: Bei vielen Motiven mögen flüchtige Betrachter erst einmal den Verfall sehen, in großen Placken abgeplatzte Vergoldungen, staubüberzogene Sitzbezüge, zerrissene Vorhänge, zerborstene Scheiben: Hier hat es sich definitiv ausgeglänzt. Doch dann fährt der Blick zurück aufs große Ganze und entdeckt die Zeugnisse einstiger Pracht, den Luxus, der sich in ausladenden Kronleuchtern, in wertvollen Marmorfußböden, in fein ziselierten Holzverzierungen, im schwungvollen Stuck, im leuchtenden Samt, in der schieren Größe der Häuser ausdrückt. Die Erhabenheit der Räume, deren einstiger Glanz auch nach Jahrzehnten noch zu spüren ist, kündet auch heute noch von der großen Zeit der Filmpaläste – als sei irgendwann nach der letzten Vorstellung die Zeit einfach stehengeblieben.