Und einzig lockt der See

Von Frauke Haß

Neulich zum ersten Mal LA GENOU DE CLAIRE (Claires Knie, FR 1970) von Éric Rohmer gesehen, einen Regisseur, den ich während des Studiums in den 1980er Jahren mit Filmen wie LE RAYON VERT (Das grüne Leuchten, FR 1986) oder L’AMI DE MON AMIE (Der Freund meiner Freundin, FR 1987) kennen- und schätzen gelernt habe. Doch …CLAIRE hatte ich bisher immer verpasst. Viele meiner Freunde schwärmten damals von diesem zauberhaften Film. Derzeit ist er (noch bis 12. Oktober) in der Arte-Mediathek zu sehen – eine willkommene Gelegenheit.

Doch welche Enttäuschung. 50 Jahre nach seiner Entstehung scheint der Film vollkommen aus der Zeit gefallen. Er wirkt noch nicht einmal wie ein Zeitdokument, das er auf seine Art natürlich immer sein wird, sondern vollkommen unwirklich mit einem wie ein unansehnlicher Möchtegern-Che-Guevara aussehenden Jean-Claude Brialy als Jérôme, der einen Teenager verführen soll, um seiner Schriftsteller-Freundin Aurora literarisch verwertbares Anschauungsmaterial zu liefern. Der einzige Sympathieträger ist die Landschaft rund um den Lac d’Annecy, der umgeben von hoch aufstrebenden Gipfeln verführerisch türkis im nicht enden wollenden Sonnenschein glitzert.

Immerhin: Diese Landschaftsaufnahmen allein machen den Film dann fast schon wieder zu einem Feelgood-Movie: Ganz schlecht kann die Laune in so einem Setting mit romantisch überwucherten Gartenvillen und repräsentativen Anwesen am See, mit knallrotem Motorboot und niedlichem weißen Mini Cooper schließlich nicht werden.

Was aber, davon abgesehen, reizvoll sein soll an einem Film, in dem (wie meist in Rohmer-Filmen) endlos (über sinnlose Verführungstheorien) gequatscht wird, die Frauen alle mit Schmollmund zu sprechen scheinen und die männliche Hauptfigur keinerlei Schauwert besitzt, erschließt sich 50 Jahre nach Erscheinen des Films nicht mehr.

Zwar ist das Frauenbild auch in einem fast zeitgliech erschienene Film wie LA PISCINE (Der Swimmingpool, FR/IT 1969, R: Jacques Deray) mit Romy Schneider aus heutiger Sicht mit Vorsicht zu genießen, aber die psychologische Grundstruktur der Figuren bleibt doch gültig – und der Film spannend.

Bei …CLAIRE gilt das nicht. Hier treten die Frauen sämtlich als junge, nicht mehr ganz so junge und schon etwas angejahrte Püppchen im Dauerverführmodus auf. Selbst Aurora, die sich das ganze Spiel ausgedacht hat, lässt sich in einem fort von Jérôme befummeln. Und sogar die störrische Claire hält ihm am Ende wie ein hynotisiertes Schaf ihr Knie zum Dauertätscheln hin. Die sexuelle Revolution der 1960er Jahre, so scheint dieser Film das zu sehen, befreite die Frauen weniger von ihren Fesseln, mehr von ihren fesselnden Kleidern, auf dass sich das andere andere Geschlecht daran ergötze.

Mag ja zum Großteil (leider) stimmen, aber wer will sich sowas heute noch anschauen? Nur der See lockt noch immer.