Von Müll und Honig: Die Online-Filmreihe „Tüpisch Türkisch“

Von Naima Wagner

Die Filmreihe „Tüpisch Türkisch“ präsentiert seit 15 Jahren türkische Spiel- und Dokumentarfilme dem Kölner Publikum. Die diesjährige Online-Ausgabe lädt noch bis zum 14. März auch Nicht-Kölner:innen dazu ein, das türkische Kino zu erkunden.

 

Digitale Premiere: DIE HÜGEL VON ISTANBUL

DIE HÜGEL VON ISTANBUL (Türkei/Deutschland 2020, R: Ellen Rudnitzki, Zeynel Kızılyaprak) feierte seine digitale Premiere bei “Tüpisch Türkisch”. Im Mittelpunkt des Dokumentarfilms stehen zwei Männer, Bayram Renklihava und Ahmet Yaşar, die als Müllsammler in Istanbul arbeiten. Mit großen Handkarren durchkämmen sie die Straßen der Stadt auf der Suche nach wiederverwertbarem Müll. Dabei rutschen sie immer wieder, auf einer leeren Plastikflasche stehend, kühn die steilen Straßen hinunter, während sie sich an dem übermannsgroßen Karren festhalten.

Filmstill DIE HÜGEL VON ISTANBUL © Agîr Media

Während Bayram den Job als Berufung sieht und eine gewisse Erfüllung darin findet, ist er für Ahmet dagegen eine reine Notwendigkeit. Wenn es irgendeine Arbeit in seinem kurdischen Dorf, dem 20 Autostunden entfernten Alitaş, gäbe, würde er die Großstadt meiden. Zu Hause kümmert er sich um 22 Kühe. Nur die kleinen schlachtet er für seine Familie, die großen muss er verkaufen, damit das Geld reicht. Ahmet ist alleinerziehend und lebt gerne in der Stadt, in einem von Roma bewohnten Stadtteil, in dem jede:r jede:n kennt und die Nachbar:innen gegenseitig auf die Kinder aufpassen, wenn sie auf der Straße spielen. Als seine Frau ihn verlassen hat, so berichtet er, habe er erst einmal alles liegen gelassen. Doch schließlich habe er den Haushalt selbst in die Hand genommen. Beide Männer möchten ihre Kinder eine bessere Zukunft ermöglichen.

Die oft wackelige Kamera ist nah an den Protagonist:innen des Films, oft klebt sie geradezu an ihren Gesichtern. So vermittelt der Film einen unverstellten Blick auf das alltägliche Leben in der Metropole Istanbul, das sozial Schwächeren einiges abverlangt.

 

Dokumentarfilm-Highlight: LAND DES HONIGS

Ein Highlight der Online-Filmreihe ist zweifellos LAND DES HONIGS (Mazedonien 2019, R: Tamara Kotevska, Ljubomir Stefanov). Der vielfach ausgezeichnete Dokumentarfilm (darunter zwei Oscar-Nominierungen für Bester Dokumentarfilm und Bester internationaler Spielfilm) begleitet die Wildimkerin Hatice, eine gelassene und freundliche Frau Mitte fünfzig mit wettergegerbtem Gesicht, die in einem verlassenen Dorf in den nordmazedonischen Bergen lebt.

Filmstill LAND DES HONIGS © Neue Visionen Filmverleih

Zwischen halbverfallenen Steinhäusern steht ihr Heim, in dem sie sich liebevoll um ihre bettlägerige Mutter kümmert. In dem bescheidenen Steinhaus liegt sie auf einer Pritsche unter einem kleinen Fenster, während Hatice auf einem niedrigen Bänkchen an ihrer Seite sitzt, sie füttert, ihr vorsingt und ihr von ihren Honig-Verkäufen auf dem Markt in der Hauptstadt Skopje erzählt. Ohne Schutzkleidung erntet sie die Waben nach einer eisernen Regel: “Die Hälfte für mich, die Hälfte für euch“. Eines Tages lässt sich eine nomadische Familie mit sieben Kindern im Dorf nieder, die nicht nur eine Herde Kühe, sondern auch Lärm und Ärger mitbringt. Zunächst freut sich Hatice über die neuen Nachbar:innen. Doch als sie ebenfalls das Imker-Handwerk aufnehmen, gerät Hatices Arbeit aus dem Gleichgewicht.

Ruhige, schöne Aufnahmen dokumentieren Hatices hartes und zugleich idyllisches Leben in der nordmazedonischen Einöde. Vor allem die Szenen im Haus fängt die Kamera mit langen Einstellungen ein. Alles ist genau und mit Liebe zum Detail beobachtet. Nie wirken Situationen gestellt oder Bilder inszeniert. Die Menschen hinter der Kamera bleiben gänzlich unsichtbar: Kein Off-Kommentar begleitet die Handlung, niemand greift sichtbar oder hörbar in das Geschehen ein. Die Filmemacher:innen, so verrieten sie in einem Interview, verstehen kein Türkisch und seien bei ihrer Arbeit nur den Bildern gefolgt. Eigentlich hatten sie einen Kurzdokumentarfilm über die Region geplant, als sie Hatice begegneten. Ein Glücksfall. Das Ergebnis ihrer dreijährigen Dreharbeiten ist ein berührender Film über eine starke Persönlichkeit, der Fragen nach dem Verhältnis zur Natur, ressourcenschonender Lebensmittelproduktion, nach der Pflege von Angehörigen und dem Leben auf dem Land sensibel behandelt.