8. Terza Visione

Festival des italienischen Genrefilms

Die 8. Ausgabe von TERZA VISIONE kehrt nach dem Ausfall im Jahr 2020 und der Sonderausgabe 2021 in der Schauburg Karlsruhe nun wieder ins Kino des DFF zurück: Vom 20.7. bis 24.7.2022 macht sich das Festival auf eine Reise durch die bunte und vielfältige Welt des italienischen Genrekinos. „Terza Visione“ bedeutet „Dritte Spielzeit“ und ist einer früher in Italien üblichen Bezeichnung für Nachspielkinos entlehnt. Im Fokus steht das populäre italienische Kino der 1950er bis 1980er Jahre, das in seiner Blütezeit einen Großteil der nationalen Filmproduktion ausmachte. Der schiere Umfang dieses filmischen Kosmos brachte unterschiedliche Metamorphosen und künstlerische Handschriften hervor, die das Programm facettenreich beleuchtet. Am Sonntag erweitert ein „internationaler Tag“ den Blick über Italien hinaus auf das internationale Genrekino, das vor allem in Europa von gegenseitiger Beeinflussung und Inspiration geprägt war. Alle Filme des offiziellen Programms mit seinen 18 Langfilmen und einem Kurzfilm sind in analogen 35mm-Filmkopien zu sehen, die aus 13 verschiedenen Filmarchiven aus sieben verschiedenen Ländern stammen. Ergänzend sind bei einigen Vorführungen vorab Einführungen und historische Kinotrailer zu sehen.

Ticketinfos:
Ab Ende Juni sind Einzeltickets (8 Euro, für Studierende 6 Euro) an der Kasse und online zu erwerben. Außerdem wird es Tageskarten für 24 Euro und Dauerkarten (für alle Filme des Programms außer der Warm-Up-Vorstellung) für 90 Euro geben. Tages- und Dauerkarten können erst zu Festivalbeginn vor Ort erworben werden, aber bereits vorab unter terza-visione(at)gmx.de oder kino(at)dff.film verbindlich per E-Mail reserviert werden.

Weitere Informationen unter: dff.film/terza-visione

Mittwoch  20.07.2022

19:00 Uhr

CHI L’HA VISTA MORIRE?

Wer sah sie sterben?
Italien/BRD 1972. R: Aldo Lado. D: George Lazenby, Anita Strindberg, Nicoletta Elmi, Adolfo Celi. 90 Min. 35mm. OmU
Original version with German subtitles
Online-Gespräch (Zoom): Aldo Lado
Deutsche Kinopremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

In den französischen Alpen wird ein rothaariges Mädchen von einer schwarzgekleideten Frau getötet. Wenige Jahre später besucht die kleine Roberta ihren Bildhauervater Francesco (Ex-Bond George Lazenby) in Venedig, um kurz danach als Leiche aus dem Canale Grande gefischt zu werden. Der vom Kummer überwältigte Francesco sucht nach dem Mörder. Bereits ein Jahr vor Nicolas Roegs Klassiker DON'T LOOK NOW nutzte Aldo Lado die Lagunenstadt meisterhaft als morbides Setting für einen Kindsverlust-Thriller, der sich mehr für atmosphärische Verunsicherung und psychologische Irritationen als die mörderischen Giallo-Set-Pieces interessiert. Hinter den historischen Fassaden tun sich doppelbödige Abgründe einer dekadenten Gesellschaft auf: Auch in seinem zweiten Film blickt Lado subversiv auf die konservative Zeitströmung, während die Intensität seines Krimis von Ennio Morricones unheimlich vibrierenden Kinderchor-Arrangements auf die Spitze getrieben wird. (Christoph Huber, Österreichisches Filmmuseum)

22:00 Uhr

HOLOCAUST 2000

Inferno 2000
Italien/Großbritannien 1977. R: Alberto De Martino. D: Kirk Douglas, Simon Ward, Agostina Belli. 103 Min. 35mm. Engl. OF
Original version
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Kirk Douglas spielt Robert Caine, einen Industriellen, der im Nahen Osten eine neuartige Atomkraftanlage bauen möchte. Seine Frau Eva (Virginia McKenna), die seine Geschäfte finanziert, stellt sich gegen ihn, doch sie wird kurz darauf bei einem Attentat von einem Verrückten erstochen. Bald fällt Caine auf, dass jeder potenzielle Widerstand gegen die Anlage auf mysteriöse wie brutale Art und Weise vereitelt wird... So geschmacklos der Filmtitel anmutet, man darf sich nicht täuschen lassen: Diese britisch-italienische Koproduktion ist nicht nur eine stilvolle und durchaus eigenständige Variation von THE OMEN, sondern auch ein Ökothriller, der das zerstörerische Potenzial der Nuklearenergie ganz radikal zum Werk des Teufels deklariert.

Donnerstag  21.07.2022

13:00 Uhr

LE CINQUE GIORNATE

Die Halunken
Italien 1973. R: Dario Argento. D: Adriano Celentano, Enzo Cerusico, Marilù Tolo. 122 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Einführung: Sven Safarow
Deutsche Kinopremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Adriano Celentano sieht sich in Dario Argentos selten gewürdigter Komödie LE CINQUE GIORNATE mit den Wirren der sogenannten 'Fünf Tage von Mailand' konfrontiert: ein fünftägiger Volksaufstand, der nach der Märzrevolution 1848 stattfand, bei dem die Österreicher unter Feldmarschall Radetzky vertrieben wurden. Celentano spielt einen Dieb, der mit einem Freund durch ein chaotisches Mailand taumelt zwischen selbsternannten Freiheitskämpfern, dekadenten Adeligen (u.a. Marilù Tolo als nymphomanische Contessa), verlassenen Schwangeren und einem Volk, das Blut sehen will. LE CINQUE GIORNATE ist einzigartig sowohl in Argentos Filmografie als auch im filmischen Schaffen seines Hauptdarstellers Celentano: 68er-Allegorie, Krypto-Revolutionswestern, Commedia all’italiana und Historienlustspiel in einem.

16:00 Uhr

TERRORE NELLO SPAZIO

Planet der Vampire
Italien 1965. R: Mario Bava. D: Barry Sullivan, Norma Bengell, Ángel Aranda. 88 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Einführung am 21.7.: Winfried Günther
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Eine Weltraumreise mit meisterhafter Farbdramaturgie vollführt Regisseur Mario Bavas mit TERRORE NELLO SPAZIO. Alles beginnt mit zwei Raumschiffen auf Erkundungsfahrt zu einem fernen Planeten, von dem sie Signale empfangen haben, werden durch starke Gravitationskräfte zur Landung gezwungen. Die Mannschaft des einen überlebt nicht, die des anderen muss fortan gegen unsichtbare Mächte kämpfen, die einen nach dem anderen töten wollen...
TERRORE NELLO SPAZIO ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich mit einem Minimum an Mitteln ein maximaler Effekt erzielen lässt. Die Beschränkungen, unter denen Mario Bava arbeiten musste, sind geradezu mit Händen greifbar. Es gibt überhaupt nur drei Drehorte: das Innere des Raumschiffs Argos, das Jahrtausende alte Wrack eines anderen Raumschiffs und die Oberfläche des Planeten Aura. Wie Bava selbst in einem Interview darlegte, besteht diese Oberfläche lediglich aus zwei Kunststofffelsen, die von einem Antikfilm im Studio übriggeblieben waren. Doch Bava zaubert nur mit farbigem Licht und einer Nebelmaschine er eine ebenso phantastische wie beklemmende Atmosphäre auf die Leinwand. TERRORE NELLO SPAZIO war eine der ersten Space Operas, die Elemente des Horrorgenres mit aufnahm und dabei in vieler Hinsicht ein Vorbild für Ridley Scotts ALIEN (1979) war. // Print courtesy of Cineteca "Maria Pia Casilio" - Istituto Cinematografico dell'Aquila "La Lanterna Magica"- ETS.

20:00 Uhr

MILANO ODIA: LA POLIZIA NON PUO SPARARE

Der Berserker
Italien 1974. R: Umberto Lenzi. D: Tomas Milian, Henry Silva, Laura Belli. 99 Min. 35mm. OmU
Original version with German subtitles
Einführung: Linus de Paoli
Deutsche Kinopremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Der erste gemeinsame Film von Genrespezialist Umberto Lenzi und Schauspieler Tomas Milian hat es in sich: Mit Giulio Sacchi hat Milian einen der niederträchtigsten Schurken im italienischen Polizei- und Gangsterfilm erschaffen, der auch vor Vergewaltigung und Mord nicht zurückschreckt. Sacchi ist eigentlich ein kleiner Gangster, dessen Klassenneid ihn über sich selbst hinauswachsen und zu einem Motor des Verbrechens und der Vergeltung an all denen werden lässt, die er für seinen sozialen Status verantwortlich macht. In diesem Actionfeuerwerk wird er von dem stoischen Kommissar Walter Grandi gejagt, gespielt von einem gegen den Typ besetzten Henry Silva. Überhaupt ist der ganze Cast hervorragend – und doch ist das eindeutig Milians Show: Seine Performance ist eine Tour de Force. Er ist wahrlich – der deutsche Titel bringt es auf den Punkt – DER BERSERKER.

22:30 Uhr

LA CHIESA

The Church
Italien/Ungarn 1989. R: Michele Soavi. D: Barbara Cupisti, Tomas Arana, Hugh Quarshie, Asia Argento. 102 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Einführung: Bilquis Castaño Manias
Deutsche Kinopremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Ein grausames Massaker durch deutsche Kreuzritter im 12. Jahrhundertsteht zu Beginn finsterer Ereignisse. Auf dem Massengrab vermeintlicher Ketzer und Teufelsanbeter türmen sich mahnend Frauen, Kinder und Tiere, doch die Errichtung einer prachtvollen Kathedrale soll bösartige Geister bannen. Jahrhunderte später befreit in jener Kathedrale in einer deutschen Großstadt ein machthungriger Bibliothekar unbedacht die eingeschlossenen dämonischen Kräfte, die zunehmend Besitz von einer Gruppe Eingeschlossener ergreifen und ihren Tribut auf allerlei kreative Weise fordern...
Stilistisch geschult durch Mitarbeit an Filmen von Joe D’Amato, Dario Argento und Terry Gilliam, entfesselt Michele Soavi in seinem zweiten Spielfilm einen formvollendeten, surreal-sinnlichen Bildersog voll atmosphärischer Dichte und Lust am Exzess, der nicht mit originellen Schreckensideen und kunsthistorischen Referenzen geizt. Dario Argento produzierte und wirkte am Drehbuch mit, seine Tochter Asia beeindruckt in der Nebenrolle der jungen Lotte, die sich neben einem Geistlichen als Einzige der dunklen Kräfte der Kirche erwehren kann. Veredelt wird das höllische Crescendo durch hypnotische Klänge von Goblin, Philip Glass und Keith Emerson.

Freitag  22.07.2022

12:30 Uhr

JOLANDA LA FIGLIA DEL CORSARO NERO

Lucrezia, die rote Korsarin
Italien 1952. R: Mario Soldati. D: May Britt, Marc Lawrence, Renato Salvatori. 95 Min. 35mm. DF
Einführung: André Malberg
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Nachdem der schwarze Korsar heimtückisch umgebracht wurde, wächst seine Tochter Lucrezia bei Sinti und Roma auf und wird im Reiten und Fechten ausgebildet. Mit 20 zieht sie aus, ihren Vater zu rächen und seinen Schatz zu finden. Doch zuerst trifft sie nicht auf den Mörder, sondern auf dessen Tochter, die Lucrezia für einen tapferen Ritter hält und sich in sie verliebt.
In Mario Soldatis mit queeren Untertönen angereichertem Abenteuerfilm behauptet sich May Britt mit Schwert und Degen in einer von Männern dominierten Welt. Die oft waghalsigen Drehbedingungen kaschierte Soldati elegant durch seine temporeiche, verspielte Inszenierung und ein sanft subversives Gespür für Ironie. Unterstützt wurde er dabei durch versierte Mitarbeiter wie Kamera-As Tonino Delli Colli, der das Geschehen in kontrastreiche Schwarz-Weiß-Bilder von bestechender Klarheit tauchte, und den jungen Regieassistenten Sergio Leone, der hier erstmals eigene künstlerische Ideen erproben durfte.

16:00 Uhr

AMORE TOSSICO

Toxische Liebe
Italien 1983. R: Claudio Caligari. D: Cesare Ferretti, Michela Mioni, Enzo Di Benedetto. 90 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Deutschlandpremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Zwischen den heruntergekommenen Stränden von Ostia und der Peripherie von Rom schlägt sich eine Gruppe junger Heroinabhängiger auf der Suche nach Stoff durch. Einige von ihnen versuchen noch, dem Kreislauf zu entkommen, andere haben schon längst aufgegeben. Gespielt werden sie alle von Laiendarstellern aus dem Drogenmilieu, die Regiedebütant Claudio Caligari mit völlig vorurteilsfreiem Blick behandelt. Mit seinem einst kontrovers diskutierten Film gelingt ihm ein Update des Neorealismus für die 80er: Geschult an Pasolini, aber mit Keyboard-Soundtrack und Dialogen in ungeniertem Vulgär-Jargon.

20:00 Uhr

BESTIALITÀ

Italien 1976. R: Peter Skerl. D: Eleonora Fani, Philippe March, Juliette Meyniel, Enrico Maria Salerno. 83 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Einführung: Katrin Doerksen
Deutschlandpremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Als Kind musste Jeanine bezeugen, wie ihr Vater das Elternhaus nach einer Transgression ihrer Mutter in Brand setzte. Nun, als junge Frau, die ob ihrer Erinnerungen verstummt ist, lebt und schläft sie mit ihrem Hund alleine auf einer kleinen Insel. Männern, die als Touristen vom Festland übersetzen, gibt sie sich wahllos hin. Ihre sexuelle Unerschrockenheit erregt das Interesse eines älteren französischen Ehepaars, das auf der Suche nach einem Medium ist, durch das die eigene, in leeren Automatismen erstarrte Beziehung wiederbelebt werden könnte...
Vielleicht nur zu jenem Zeitpunkt der Filmgeschichte, und vielleicht nur im erzkatholischen Italien, konnte ein Quereinsteiger und Exilant wie der gebürtige Serbe Peter Skerl einen Film drehen, der so konsequent die unverfrorene, anarchische Chuzpe des Exploitationkinos mit dem bürgerlichen Selbsthass des zeitgenössischen Autorenkinos vermählte. Mit fiebriger Intensität und der gebotenen Polemik erzählt BESTIALITÀ in oft (alp)traumgleichen Bildern archetypische Obsessionen seines Genres in selten gesehener Verdichtung neu: Traumata, die ihre Schatten in die Gegenwart werfen, die Industriegesellschaft als Blutegel an den Venen der Provinz, Inzest und verklemmtere Neurosen sowie das ewig brennende Verlangen des betuchten Zynikers, proletarische Unschuld zu korrumpieren. Eine Schlammschlacht, und ein Requiem.

22:30 Uhr

WHITE POP JESUS

Italien 1980. R: Luigi Petrini. D: Awana Gana, Stella Carnacina, Gisela Hahn. ca. 75 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Deutschlandpremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Der unfassbarste Film des Festivals! Jesus (Radiomoderator Awana Gana in seiner einzigen Filmrolle) kommt oder flieht, man weiß es nicht genau, aus einer psychiatrischen Anstalt und führt sich auf wie der sprichwörtliche Messias. Dabei sagt er unter anderem der Mafia, Terrorismus und Drogen den Kampf an... Alle, denen Norman Jewisons JESUS CHRIST SUPERSTAR (1973) nicht fetzig genug war, kommen hier auf ihre Kosten: Diese späte Kreuz(ig)ung aus Musicarello und Musical vermählt das Neue Testament nicht nur mit dem Disco-Genre, sondern auch mit Slapstick-Elementen und einem Mafia-Subplot. Man ahnt es: WHITE POP JESUS ist kein gewöhnlicher Film. In einer Zeit, die saturiert war von dem Genre (und das nur etwas über zwei Jahre nach dem Welterfolg von John Badhams SATURDAY NIGHT FEVER), hat man die Komponisten Vince Tempera und Franco Bixio ein Disco-Inferno entfesseln lassen, das seinesgleichen sucht. Luigi Petrini zeigt mit seinem letzten Werk, dass ein Film manchmal entgleisen muss, um zu sich zu kommen. Was davon ist Parodie? Was davon Hommage? Was Blasphemie? Klar ist nur: Es ist ein Fest!

Samstag  23.07.2022

13:30 Uhr

OMICRON

Herr Doktor, die Leiche lebt!
Italien 1963. R: Ugo Gregoretti. D: Renato Salvatori, Rosemary Dexter, Franco Luzzi. 85 Min. 35mm. DF
Mit Vorfilm: CHE COSA SONO LE NUVOLE
Italien 1967. Pier Paolo Pasolini. 20 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Ugo Gregoretti wechselte in seiner langen Karriere zwischen Film, Theater, Rundfunk und Theater. Mit einer wundersam geglückten Gratwanderung zwischen brachialem Slapstick und beißender Gesellschaftssatire vermisst seine Sci-Fi-Komödie OMICRON die Absurditäten und die Abgründe, die sich wohl auftäten, wenn einem vom Sein entfremdeten Menschen eine Außenperspektive auf die so arg vertrackte humane Existenz möglich wäre. Da just diese Perspektive indes auch dem gewieftesten menschlichen Erzähler verschlossen bleiben muss, wählt Gregoretti eine so naheliegende wie reizvolle Allegorie: Ein Außerirdischer befällt, einem Virus gleich, den Körper eines italienischen Fabrikarbeiters, um die irdischen Gegebenheiten auszukundschaften zwecks späterer Invasion des Planeten. Und stellt nach anfänglichen Schwierigkeiten mit seinem neuen Körper fest, dass man mit dieser reichlich hoffnungslosen, ihren Egoismen gänzlich unterworfenen Spezies Mensch nur allzu leichtes Spiel haben dürfte...

16:00 Uhr

IL MIELE DEL DIAVOLO

Des Teufels Honig
Italien/Spanien 1986. R: Lucio Fulci. D: Brett Halsey, Corinne Cléry, Blanca Marsillach. 83 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Einführung: Sabrina Mikolajewski
Deutschlandpremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Im furiosen Erotik-Thriller IL MIELE DEL DIAVOLO von Lucio Fulci entfaltet sich unter den Vorzeichen von Tod und Begierde eine sadomasochistische amour fou: Der in einer unglücklichen Ehe gefangene Chirurg Wendell Simpson stürzt er sich in die Arbeit und in Besuche bei Prostituierten. Nachdem der Musiker Johnny auf seinem OP-Tisch landet und kurz darauf verstirbt, schwört dessen Freundin Jessica Rache. Sie entführt Simpson und hält ihn in Johnnys Strandhaus gefangen... Man mag an 9 ½ WEEKS (1986) denken, doch im Geiste ist dieses düstere Psychodrama um Begierde, Sadomasochismus und Rache den Exzessen eines Joe D’Amato näher als der gefälligen Werbeclip-Ästhetik eines Adrian Lyne. Fulci arbeitete hier das erste Mal mit dem US-Darsteller Brett Halsey zusammen, dessen Nonchalance man leicht mit Farblosigkeit verwechseln kann. Die stille Tragik und das würdevolle Scheitern, die Halsey ausstrahlt, bringen jedoch zusammen mit seiner Filmografie einen Metatext in den Film, der IL MIELE DEL DIAVOLO erst seine Gravitas verleiht.

20:00 Uhr

IL MIO CORPO PER UN POKER

Mein Körper für ein Pokerspiel
Italien 1968. R: Lina Wertmüller (einzelne Szenen: Piero Cristofani). D: Elsa Martinelli, Robert Woods, George Eastman. 100 Min. 35mm. EF
English version
Einführung: Annette Brauerhoch
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Der einzige unter weiblicher Regie entstandene Italowestern stellt mit Hauptdarstellerin Elsa Martinelli einige Genrekonventionen auf den Kopf stellt. Das Projekt entstand aus der Not heraus, als Lina Wertmüller ein Hilferuf ihrer Freundin Elsa Martinelli von einem Filmset in Jugoslawien erreichte: Der ursprüngliche Regisseur sei abgesprungen. Wertmüller übernimmt, schreibt spontan das komplette Drehbuch um, streicht teure Massenszenen und konzentriert sich ganz auf Martinelli als zigarrenrauchende, pokernde Revolverheldin in schwarzem Leder, die der Männerwelt mühelos Paroli bietet. Doch nebst aller Toughness nimmt der Film sie auch in ihrer Komplexität wahr, erzählt von ihrer durch Gewalt und Unterdrückung geprägten Sozialisierung, zeigt ihr latent sadomasochistisches Beziehungsverhalten. Dabei erweist sich Wertmüller unverhofft als findige Genre-Handwerkerin, die kühn die Herausforderungen der abenteuerlichen Produktion annimmt.

22:30 Uhr

NUDE, CALDE E PURE

Dunkle Haut und helle Nächte
Italien/Frankreich 1965. R: Virgilio Sabel, Lambert Santhe. Dokumentarfilm. 77 Min. 35mm. DF
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Ein äußerst kurioses Zeitdokument, das jenseits der Zwänge des Bürgerlichen die zeitgenössischen Mekkas der freien Liebe erkundet: Schweden und Tahiti. Im kühlen Norden findet der Film dabei ein gerüttelt Maß an Aufklärung und amouröser Fortschrittlichkeit, im sonnenheißen Süden tiefe Naturverbundenheit und selbstverständliche Körperlichkeit. Doch ob Sauna oder Wasserfall, ob moderne Rhythmusgymnastik oder Tamouré am blauen See – die steilen zivilisatorischen Unterschiede werden für den Film überbrückt von einer beiderseits geteilten Lebensfreude und Freizügigkeit, an die sich die verdutzten Italiener, die gelegentlich durchs Geschehen stolpern, erst einmal gewöhnen müssen.
"Wenn auch der Film im Bild einigermaßen dezent bleibt, wird in dem scheinbar nüchternen Kommentar die Behauptung aufgestellt, daß ein so freizügiges Leben viel normaler sei und für die Betreffenden außerdem keinerlei Nachteile biete. [...] So wird diese Lebensart als die übliche Norm hingestellt und damit eben der heute modernen, aber dennoch gefährlichen These gehuldigt: Richtig ist das, was ich gern möchte und was mir Spaß macht.“ (Filmdienst, 1965)

Sonntag  24.07.2022

13:00 Uhr

RAKKAUDEN RISTI

Das Kreuz der Liebe
Finnland 1946. R: Teuvo Tulio. D: Regina Linnanheimo, Oscar Tengström, Ville Salminen. 99 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Einführung: angefragt
Deutschlandpremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Ausgerechnet aus dem gemeinhin eher mit Lakonie und emotionaler Kühle assoziierten Finnland stammt einer der feurigsten Meister des Melodrams: Teuvo Tulio, der „Douglas Sirk wie Robert Bresson aussehen lässt“ (Paolo Cherchi Usai). Zu seinen Bewunderern gehört Aki Kaurismäki und sein hemmungslos leidenschaftlicher Stil ist gleichermaßen vom Expressionismus wie von Hollywood-Glamour inspiriert, vermengt diese Einflüsse aber zu einer ganz eigenen, unverkennbar nordischen Melange. In RAKKAUDEN RISTI variiert er sein Lieblingsthema der korrumpierten Unschuld: Die Tochter eines Leuchtturmwärters wird von einem schwiemeligen Geschäftsmann in die große Stadt gelockt und gerät dort in einen Strudel der Sündhaftigkeit. Offiziell diente Tulio dabei Alexander Puschkins Novelle „Der Postmeister“ als Vorlage, inoffiziell orientierte er sich vor allem an dessen gleichnamiger Verfilmung durch Gustav Ucicky (1940). Doch während dort biederer Moralismus vorherrschte, wählte Tulio den Weg der völligen Hingabe an die emotionalen Untiefen seines Stoffs. Dabei folgte ihm seine vielfache Hauptdarstellerin und jahrzehntelange Lebensgefährtin Regina Linnanheimo, deren Schauspiel sich mit jeder Rolle immer weiter von jeglichem Naturalismus entfernte und zum puren Ausdruck ekstatischer, oft wahnhafter Seelenzustände wurde.

16:15 Uhr

SOLA ANTE EL TERROR

Alleine gegen das Grauen
Spanien 1983. R: Jesús Franco. D: Lina Romay, Mabel Escaño, Carmen Carrión. 85 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Einführung: angefragt
Deutschlandpremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Ein Haus auf Klippen über dem Meer (Ricardo Bofills „La Muralla Roja“ in Alicante), eine ans Bett gefesselte, reiche Kranke, ihre zwei habgierigen Pflegerinnen und eine traumatische Vergangenheit, die durch das ewig präsente Meeresrauschen hindurch in gespenstischem Kontakt mit der Gegenwart steht: Sehr viel mehr benötigt der berühmt-berüchtigte Goya-Preisträger Jesús Franco nicht. Zwischen Whodunit und gotischem Melodram ringt sich der schwindelerregend produktive Chef-Erotomane des europäischen Genrekinos (SOLA ANTE EL TERROR war nur einer von 15 Filmen, die er alleine 1983 fertigstellte!) zu einer vergleichsweise keuschen Gangart durch, um einmal anders zu erreichen, was er sonst so oft durch sein Prisma der Lüste anstrebte: Eine nahezu vollkommene Abstrahierung genreüblicher Narrative nach seinen ganz eigenen Franco-Regeln, bis die immer weiter zurückweichenden dramaturgischen Normen den Blick freigeben für die Poetik der freischwebenden Emotionen und Sinneseindrücke, als deren Summe man die besagte Norm gerne missversteht, sprich: Kino in seiner konzentriertesten Form.

20:15 Uhr

VIY

Viy
UdSSR 1967. R: Konstantin Ershov, Georgiy Kropachyov. D: Leonid Kuravlyov, Natalya Varley, Aleksey Glazyrin. 77 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Einführung: Gary Vanisian
Deutsche Kinopremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Nikolai Gogols Geschichte vom Theologiestudenten, der drei Nächte in einer Kirche für das Seelenheil einer verstorbenen jungen Edeldame beten muss, die sich als rachsüchtige Hexe entpuppt, inspirierte schon Mario Bava zu LA MASCHERA DEL DEMONIO, auch wenn sein fertiger Film nur noch wenig mit der Vorlage zu tun hat. Die sowjetische Adaption ist ungleich werktreuer, filmisch aber kein Stück weniger eindrucksvoll: Sie beginnt als schattiger Waldspaziergang und mündet in einen dämonischen Totentanz voll wilder Kameratricks und grotesker Spezialeffekte. Für diese zeichnete Alexander Ptuschko verantwortlich, der ungenannt auch die Co-Regie übernahm und dabei vollends die düstere Seite seiner berühmten Märchenfilme ausleben konnte: VIY gilt als einzig genuiner Horrorfilm der Sowjetunion. Doch nicht nur darin kommt ihm ein historischer Sonderstatus zu, sondern auch als seltenes Beispiel dafür, wie ukrainische Kultur ihren Weg in eine russische Produktion findet. Sowohl Ptuschko als auch Gogol stammen aus der Ukraine, der Film ist dort angesiedelt und das Handeln der Figuren tief in lokalen Bräuchen verwurzelt, wie sie die russische Zensur bei weniger fantastischen Stoffen gern einzudämmen suchte. Folklore wird hier also sowohl zum Katalysator spektakulären filmischen Erfindungsreichtums als auch zum kleinen Akt der Subversion.

22:30 Uhr

LA ROSE DE FER

Die eiserne Rose
Frankreich 1973. R: Jean Rollin. D: Françoise Pascal, Hugues Quester, Natalie Perrey. 86 Min. 35mm. OmU
Original version with German subtitles
Deutsche (analoge) Kinopremiere!
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Ein junges Pärchen lässt sich während eines Spaziergangs auf einem Friedhof von der morbiden Atmosphäre zu einem längeren Aufenthalt verführen. Als die Dunkelheit hereinbricht, verlieren die beiden die Orientierung und werden zu Gefangenen eines seltsamen Ortes, der ihr Innerstes nach außen kehrt…
Jean Rollin verzichtet in seinem schwelgerischen Schauerpoem gänzlich auf die sonst üblichen Vampire oder Zombies, überhaupt auf jedes unmittelbar übernatürliche Element. Die düstere Magie der Totenstätte mit ihren seltsamen Besuchern ist alles, was er für seinen betörenden Beziehungstaumel benötigt. Das Spiel aus Wagnis und Zaudern, Verführung und Ablehnung, Zweisamkeit und Zwietracht umschreibt mit den mehrfach umkippenden Kräfteverhältnissen der Protagonisten verschiedene Aggregatzustände einer absonderlichen Liebe, die ebenso unbeirrbar wie zerbrechlich scheint. Mit asketischer Selbstbeschränkung malt Rollin einen zum Greifen nahen Traum aus, der nach dem Erwachen nicht gleich wieder verblasst, sondern feine Spuren im Kopf des Zuschauers hinterlässt – ein kleiner Schatz! (Adam Kesher, ofdb.de)

Freitag  29.07.2022

22:30 Uhr

TERRORE NELLO SPAZIO

Planet der Vampire
Italien 1965. R: Mario Bava. D: Barry Sullivan, Norma Bengell, Ángel Aranda. 88 Min. 35mm. OmeU
Original version with English subtitles
Filmreihe: Terza Visione – 8. Festival des italienischen Genrefilms

Eine Weltraumreise mit meisterhafter Farbdramaturgie vollführt Regisseur Mario Bavas mit TERRORE NELLO SPAZIO. Alles beginnt mit zwei Raumschiffen auf Erkundungsfahrt zu einem fernen Planeten, von dem sie Signale empfangen haben, werden durch starke Gravitationskräfte zur Landung gezwungen. Die Mannschaft des einen überlebt nicht, die des anderen muss fortan gegen unsichtbare Mächte kämpfen, die einen nach dem anderen töten wollen...
TERRORE NELLO SPAZIO ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich mit einem Minimum an Mitteln ein maximaler Effekt erzielen lässt. Die Beschränkungen, unter denen Mario Bava arbeiten musste, sind geradezu mit Händen greifbar. Es gibt überhaupt nur drei Drehorte: das Innere des Raumschiffs Argos, das Jahrtausende alte Wrack eines anderen Raumschiffs und die Oberfläche des Planeten Aura. Wie Bava selbst in einem Interview darlegte, besteht diese Oberfläche lediglich aus zwei Kunststofffelsen, die von einem Antikfilm im Studio übriggeblieben waren. Doch Bava zaubert nur mit farbigem Licht und einer Nebelmaschine er eine ebenso phantastische wie beklemmende Atmosphäre auf die Leinwand. TERRORE NELLO SPAZIO war eine der ersten Space Operas, die Elemente des Horrorgenres mit aufnahm und dabei in vieler Hinsicht ein Vorbild für Ridley Scotts ALIEN (1979) war. // Print courtesy of Cineteca "Maria Pia Casilio" - Istituto Cinematografico dell'Aquila "La Lanterna Magica"- ETS.