Filmblog // Heide Schlüpmann zu 50 Jahre Kommunales Kino

Am 16. Juni 2022 feierte das Kino des DFF mit einem halben Jahr Verzögerung den 50. Jahrestag der Gründung des ersten deutschen Kommunalen Kinos in Frankfurt am Main, das am 3. Dezember 1971 öffnete. Zur pandemiebedingt verschobenen Feier hielt Heide Schlüpmann, u.a. Mitgründerin der Kinothek Asta Nielsen und dem Kino des DFF seit Jahrzehnten verbunden, folgende Rede:

Von Heide Schlüpmann

Das Kino des DFF – 50 Jahre Geschichte

Gut 50 Jahre besteht dieses Kino unter wechselnden Namen und in wechselnden Häusern. Seine Geschichte ist zugleich Teil meiner Lebensgeschichte. Nicht zuletzt war es zentraler Ort meines Filmstudiums, nicht die Universität, die das damals, in den 1970er/ 80er Jahren, noch gar nicht sein konnte: es gab keinen entsprechenden Studiengang. Doch kommt ihm, diesem Kino, in meinen Augen jene Bedeutung immer noch oder wieder zu, auch nach der akademischen Institutionalisierung von Filmwissenschaft. Der Gedanke läßt sich mit Sarah Maldoror – deren Filme wir letztes Wochenende hier sehen konnten – weiter fassen: Bereits die Kinder sollten erst sehen und dann lesen lernen – also erst ins Kino und dann in den Schulunterricht…

Nicht allein meiner Lebensgeschichte ist das heutige Kino des DFF verbunden, sondern der vieler Einzelner und zugleich oder andererseits spiegelt seine Geschichte die allgemeine Geschichte der Gesellschaft. Mitten im Aufbruch in soziale Bewegungen der 1970er Jahre entstand es, und dieser Bewegtheit entsprach seine provisorische Verortung im Neubau des Historischen Museums am Römerberg, das damals selbst neue, geschichtskritische Wege ging. In den 1980er Jahren fand der Umzug des Deutschen Filmmuseums in ein eigenes Haus am Schaumainkai statt . Es wurde Teil des ehrgeizigen Museumsuferprojekts, in dem sich Hochkultur präsentierte. Während das Kino im Souterrain hinter der Marmortreppe verschwand, beherbergte das neue Haus allerdings eine öffentliche Filmbibliothek, eine Videothek und – leider nur zeitweise – eine interessante Filmbuchhandlung. Anfang der 1990er Jahren erreichte der Neoliberalismus dieses Haus, der Status eines kommunales Kinos wurde von kulturpolitischer Seite – der damaligen Kulturdezernentin Linda Reisch von der SPD – gestrichen. Trotz vielfältigen und vehementen Protests, incl. eines Go Ins der Universität, das heißt, meines Seminars, im Kulturausschuß des Stadtparlaments. Zumindest aber blieb das Kino im Deutschen Filmmuseum erhalten. In den 2000er Jahren konnte es im Zuge der gesellschaftlichen und kulturellen Aufwertung des Archvis eine neue Gestalt und Bedeutung annehmen.

Ob Kommunales Kino oder Kino im Deutschen Filmmuseum, oder Kino des DFF – immer wurde und wird es von einzelnen Menschen gemacht. Dieter Reifarth hat dem Kommunalen Kino sein Gesicht gegeben, er nahm die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten und Aufgaben eines nichtkommerziellen Kinos wahr. Michael Besser übernahm die Leitung für eine kurze Zeit, ihm folgte Ronny Loewy, für den Sorge um Filmkultur auch hieß, verdrängte Filmgeschichte und Geschichte zur Geltung zu bringen. Zuletzt stellte die Cinematographie des Holocaust in Zusammenarbeit mit dem Fritz Bauer Institut sein großes Projekt dar. Kitty Vincke ist zu gedenken, die das Kino liebte und fast jeden Abend dort präsent war; das Filmfestival Verso Sud war ihr besonderes „Kind“. Einige Jahre leitete Ulrike Stiefelmayer das Kino und engagierte sich durch Programm- und Vernetzungsarbeit daran, dem nicht mehr Kommunalen Kino Publika zu erhalten und zu erschliessen. Durch all die Jahre hindurch war Winfried Günter ein steter Zuschauer und zugleich Programmgestalter, ein Entdecker mit unglaublichem Wissen, der auch jeden Film aufzuspüren weiß und dem wir eine zeitlang die Reihe “Avantgarde und Experiment” zu verdanken hatten. – Die Gegenwart ist Ihnen ja allen vertraut. Erinnern möchte ich lediglich, daß Natascha Gikas bereits um 1990 im Kino mitarbeitete, ihr Debut war, soweit ich erinnere, eine Retrospektive zum Frühen deutschen Kino, genauer gesagt zu Filmen des Jahres 1913. Die Kinoleitung hat sie nach mehr als 20 Jahren Programmarbeit offiziell 2016 übernommen. Wenig später kam dann Adreas Beilharz hinzu. Andreas, der aus Nürnberg das Interesse an Ausgrabungen nichtkanonisierter Genres und Filme mitbringt.

Heute ist das ehemals Kommunale Kino, so wie ich es sehe, ein Ort der Liebe zum Kino, ihr Rückzugs- oder Zufluchtsort; Zufluchtsort für Menschen und für Filme, für Filme in ihrer historischen Fülle, ihrer Vielfalt an Formaten, 35 mm, 16, 8 mm oder auch 70; vorgeführt  werden sie in den jeweils adäquaten Bildformaten und Geschwindigkeiten. Der Ort wäre daher nichts ohne ausgebildete, erfahrene und engagierte Filmvorführer und Filmvorführerinnen. Derzeit sind das  Pramila Chenchanna, Christian Appelt,  Hans-Peter Marbach, Michael Besser und Björn Schmitt.

Rückzugsort, Zufluchtsort – die Liebe zum Kino steht derzeit unter dem Verdacht der bloßen Nostalgie. Aber gab das Kino nicht immer schon denen Raum, über die der Zeitgeist hinwegging. die nicht gefragt wurden, wenn es um die Veränderung ihrer Lebenswelten ging? Denen nur die Wahl zwischen Resignation, Anpassung oder Protest blieb? Da war zu Beginn des 20. Jahrhunderts das migrantische Kino, das Stummfilmkino insgesamt zog in besonderer Weise Frauen an; da war das Kino eines depossedierten Mittelstands in den 1920er Jahren und das 50er Jahre-Kino in dem ein breites Publikum seine über Weltkrieg und Massenmord verlorene Lebenswelt suchte und, gegenläufig, eine Jugend den ihnen von Tradition und Fortschritt gleichermaßen versperrten Aufbruch in eine eigene Lebensgestaltung. Diese Generation gab den Anstoß zu einer Erneuerung des Kinos. Es emanzipierte sich in den 1960er Jahren von einer – politisch in Dienst genommenen – TraumFabrik und wurde unabhängig als Ort der Utopie, “Utopie Kino”. Und damit wurde es für kurze Zeit auch Vorraum der Weltveränderung.

Unabhängiges Kino – in dieser Tradition steht das Kino des DFF und in diesem Zeichen nehme ich seine Geschichte wahr. Es ging aus dem Independent Film Center hervor, das Sigmar Ahlering zur Jahreswende 70/71, soweit ich erinnere,  gründete und das im Theater am Turm, in den theaterfreien Zeiten montags und Freitagnacht spielte. Dort sah ich zum ersten Mal die Filme der sowjetischen Avantgarde und Perlen aus der Geschichte des Horrorfilms. Die Initiative Ahlerings griff der damalige Kulturdezernent Hilmar Hofmann auf und überführte sie bereits Herbst 1971 in die Einrichtung eines Kommunalen Kinos mit einem Direktor, Walter Schobert, bald darauf auch Direktor des neu gegründeten Deutschen Filmmuseums. Das Kommunale Kino Frankfurt begann also im Theater am Turm und es eröffnete dort mit einer Buster Keaton-Retrospektive. Das Ereignis ist als ein rauschendes Fest in Erinnerung, zu Gast war Raymond Rohauer, berühmt-berüchtigter US-amerikanischer Sammler, der Keaton persönlich gekannt hatte. Was aber geschah in diesem gefeierten Anfang? Mit “independent” war Unabhängigkeit des Programms von kommerziellen Interessen ebenso wie Freiheit von kulturellen und gesellschaftlichen Normen gemeint, wurde ein unabhängiges Publikum angesprochen. Die Eingemeindung des Independent Film Center, seine Transformation in ein Kommunale Kino nahm ihm den heimlichen Flair des Underground. Es wurde Bestandteil politischer und kultureller Öffentlichkeit. Dabei sorgte das Stadtparlament für Stabilität und eine bis in die 80er Jahre hinein rege außerparlamentarische Öffentlichkeit für die ebenso nötige Bewegung. Als das Kommunalen Kino seine Autonomie verlor und sozusagen im Filmmuseum aufging, kam das aus meiner Sicht einer Enteignung gleich – einem Verlust von  Öffentlichkeit. Es ging ums finanzielle und institutionelle Überleben dieses Kinos und das ist ihm, das heißt, denen, die dafür sorgten, geglückt, nicht zuletzt Claudia Dillmann, die einige Zeit nach der Krise Direktorin wurde und das Deutsche Filmmuseum mit dem Deutschen Filminstitut Wiesbaden zusammenführte. Das Kino selbst fädelte sich mit Programmen und Festivals in eine Kultur der Diversität ein – Festivals des französischen, italienischen, jüdischen, afrikanischen Films etc. Ich denke aber, daß es sich erst im Lauf der 2010er Jahre neu konstituieren konnte. In dieser Zeit gewann es Profil als eines der wenigen Kinos, die der Umstellung selbst vieler Programmkinos auf ausschließlich digitale Projektion entgegen hält, bzw. das Alte über dem Neuen nicht vernachlässigt. Die Verortung im Museum kommt dem Kino nun zugute: Der Zugang zur Filmgeschichte ist ihm durch die Verbundenheit mit dem hauseigenen Filmarchiv und dessen internationaler Vernetzung offen. Diese Vernetzung ist auch in der Person von Ellen M. Harrington, seit 2018 Direktorin des DFF, gegeben.

Das Kino des DFF hat als Archivkino wieder einen eigenen gesellschaftlichen Status. Doch als solches gibt es nicht allein Objekten Obdach, versammelt nicht nur Dinge, sondern vergegenwärtigt vor allem das in diesen Dingen sedimentierte Leben, vergegenwärtigt es in der Wahrnehmung eines heutigen Publikums. Aus der Perspektive des Archivs betrachtet, versammelt, erhält und pflegt das Kino Wahrnehmung. Wahrnehmung, die sich am “analogen” Film bildete und sich durch ihn erneuert. In einer Gesellschaft, die auf die entkörperlichte Kommunikation setzt, ist das Archivkino Arche der Wahrnehmung. Wo wird es, wo wird sie anlanden?

Die Frage ist, wieviel Archiv und, vor allem, welche Art Archiv leistet sich die Gegenwart? Filmarchive stehen sicherlich nicht an erster Stelle der Kulturpolitik. Vor allem aber gehorcht dem ökonomisch technologischen Fortschritt nicht allein die politische, kulturelle und gesellschaftliche Öffentlichkeit, viele Filmarchive setzen ebenfalls auf Digitalisierung, wenn es darum geht, ihren Bestand einem Publikum zugänglich zu machen. Undigitalisiert bleibt dann eine Masse von Filmen für nicht absehbare Zeit unsichtbar. Wie lange wird das Archivkino noch analoge Kopien zeigen können? Bereits jetzt verschwinden sie mehr und mehr in den Lagerräumen, werden auf Eis gelegt. Widerstand, Einspruch tut not.

Dieses Kino hier, habe ich einen Zufluchtsort für Kino, für die Liebe zum Kino genannt. Schon heute ist das nicht selbstverständlich. Es muß verteidigt werden, von denen, die es machen, wie von denen, die es besuchen, die sein Publikum sind; das Interesse am derzeit sogenannten analogen Film ist inzwischen auch in der heutigen Generation wieder gewachsen. Der Begriff des Archivkinos allerdings ist selber einer des allgemeinen Zeitgeists, er suggeriert, der Fokus sei Vergangenheit. Es geht aber um Geschichte im Gegensatz zu einem sich als das Ganze aufspielenden Heute. Während diese, die Gegenwart, doch nur ein Teil der Geschichte ist– einer unabgeschlossen. In den Filmprogrammen des Kinos hier stehen Filme aus früheren Epochen neben neuen, darunter auch wieder Produktionen, die sonst keine Leinwand finden. Zudem verortet es sich nicht zuletzt dadurch in der heutigen Gesellschaft, daß es sich nicht allein mit internationalen Archiven vernetzt, sondern wiederum mit kulturellen und sozialen Einrichtungen der Stadt kooperiert und sich mit Initiativen verbündet, die für die analoge Projektion eintreten, wie dem Filmkollektiv Frankfurt oder auch der von mir hier mit vertretenen Kinothek Asta Nielsen.

Das Kino hat einmal als Massenkino begonnen und hat sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Ort von Menschen verschiedenster Herkunft, gleich welchen Alters und Geschlechts entfaltet. Von diesem massenkulturellen Phänomen Kino sind wir weit entfernt, weiter denn je, den Trend konnten auch die Multiplexe nicht aufhalten. Doch wir haben Zeugen der Zeit eines solchen Kinos: das sind die Filme, die es geschafft haben, Verschleiß und Zerstörung zu überdauern. Heute auf die Leinwand projiziert, vergegenwärtigen sie auch ein Geschichte-gewordenes Publikum. Filme sind nicht als unser Besitz zu sehen und zu nehmen, sie gehören der Geschichte an, deren Teil wir sind. Statt blind in ihr zu leben, öffnen sich ihr im Kino unsere Augen.