Originale aus der Kamera Oskar Barnacks

DFF-Filmrestauratorin Anke Mebold berichtet von der Digitalisierung des Werks eines deutschen Kinopioniers

Oskar Barnack, in der Fotografie berühmt als entwickelnder Ingenieur der Leica, war Pionier des ‘Kleinbildformats’, also der Verwendung von 35mm Kinofilm als Aufzeichnungsmedium der Fotografie. Obwohl eine gefeierte Persönlichkeit der Fotohistorie, blieb seine Bedeutung für den Film weitgehend unbekannt. Während der mehr als zehnjährigen Entwicklungsphase bis Vermarktung der Leica 1924 konstruierte Oskar Barnack 1913 auch eine Bewegtbildkamera, erarbeitete 2014 zwei weitere Modelle, und drehte mit diesen Kinokameras bis in die Mitte der 1920er Jahre Filmaufnahmen in Wetzlar und Umgebung.

Doch wo bekommt man diese heute zu sehen? Spätestens seit der Digitalisierung der Kinos ist klar: Analoge Filmmaterialien müssen retrospektiv digitalisiert werden, um diesen Teil des deutschen Filmerbes verfügbar zu halten. Das gelang dem DFF 2018 und 2019 dank öffentlichen Fördermitteln für die Filme von Oskar Barnack. Seit 2012 gibt es für die Digitalisierung des deutschen Filmerbes gezielte Förderlinien des Bundes (BKM und FFA), und ab 2019 eine einheitlichen Förderung, die mit bis zu 10 Mio. Euro pro Jahr ausgestattet ist.

Oskar Barnacks filmisches Vermächtnis zeugt von einem feinen Gespür für Bildkomposition und hohe Sorgfalt im Fertigungsprozess. Barnack experimentierte mit Rohfilmmaterialien, Filmtransport, Aufnahmegeschwindigkeit, Belichtung. Seine Auswahl der Filmsujets stellt aus heutiger Sicht extrem spannende und wichtige Zeugnisse bereit, aus 1914, dem letzten Friedensjahr des Kaiserreichs, aus der Zeit des ersten Weltkriegs sowie der Anfangszeit der Weimarer Republik.

Die Aufnahmen, nah am Puls des gesellschaftlichen und politischen Geschehens, wirken durch die Wahl der Perspektiven persönlich und menschlich. Sie zeigen uns Momente des Alltäglichen, wie Feierabend am Werkstor und sommerliches Badevergnügen, Ansichten von Festlichkeiten und Wettbewerben in Wetzlar – Karneval, Schützenfest, Ochsenfest –, aus Frankfurt eine Ruderregatta und einen Modellflugwettbewerb. Stadtansichten und Menschen in Bad Ems oder in Wetzlar hält Barnack während eines Hochwassers fest. Insbesondere auch Weltgeschichte reflektiert er auf lokaler Ebene, etwa in seinen Kriegsgefangenenfilmen, Medizinfilmen oder seinem möglicherweise letzten Film REICHSBANNER-UMZUG von 1924.

Die Digitalisierung des Filmerbes – ein Bericht

Der mechanische Zustand der bis heute überlieferten Filme ist Indiz dafür, dass sie nicht allzu viele Projektordurchläufe erlebt haben. Nutzungsspuren und Abnutzungserscheinungen halten sich in Grenzen, während chemische Schädigungen, aber auch Zerstörungen durch spätere Umkopiermassnahmen ein größeres Problem darstellen.

Möglichst sehr kalte, konstante Temperatur ist der wichtigste Faktor für den Erhalt der Filmoriginale, viele hunderte Jahre in die Zukunft. Zweitwichtigster Faktor ist Luftfeuchtigkeit – weder zu trocken noch zu feucht. Im Falle der Oskar-Barnack-Filme waren die idealen Lagerbedingungen nicht gegeben, weshalb sie für ihr Alter überdurchschnittliche chemische Schädigungen und Zersetzungserscheinungen zeigen.

Schon Mitte der 1950er Jahre, wesentlich dann 1999, wurden Teile der Originale in Zusammenarbeit mit Leitz-Mitarbeitern aus Wetzlar archivarisch erschlossen. Etwa die Hälfte der Filmrollen des früheren Leitz Firmenarchivs von Herrn Rolf Beck, Firmenarchivar der Leica Microsystems AG ging damals in die Obhut des DFF (ehem. Deutsches Filminstitut – DIF e.V.) in Frankfurt, erst 20 Jahre später, im Herbst 2018, folgte die zweite Hälfte als Dauerverwahrung der Leica Camera AG.

Durch die Zusammenführung aller noch überlieferten Filmrollen und deren Abgleich konnte das Oevre Barnacks neu definiert werden. Neue Filmaufnahmen wurden entdeckt, bekannte Titel den richtigen Aufnahmen zugeordnet, Fassungen und Varianten durch Umarbeitung und -kopierung festgestellt. Im Zentrum der Digitalisierung standen die materiellen Anforderungen der Originale – nur sie sind Garanten für Authentizität, Integrität und höchste photographische Güte.

Das vorher festgelegte Restaurierungsziel war die so genannte Erstveröffentlichungsfassung, alternativ die ursprüngliche Kameranegativ-Fassung. Um das Material für das Scanning flexibler zu machen, waren einige stabilisierende Reparaturen sowie manuelle oder maschinelle Reinigung und chemische Vorbehandlung unumgänglich – sie erforderten externe Beratung.

Die weiteren Beabeitungsschritte waren im Vergleich dazu einfach und routiniert: Zuerst der Zusammenschnitt der Filme im Fall mehrerer Ausgangsmaterialien. Die Lichtbestimmung und – wo überliefert – Farbgebung gemäß zeitgenössischer Positivkopien. Zur Nachbearbeitung gehörte eine geringfügige Retusche von Verschmutzungen, Schrammen und dergleichen, auf wenige Korrekturen der Bildpositionen folgte im letzten Schritt die Kadrierung.

Über den Filmverleih des DFF ist die Ausleihe der Filme von Oskar Barnack als DCP (Digital Cinema Package) für Kinovorführung möglich, ebenso als Blu-Ray oder ProRes Datei für museale Präsentation. Uneingeschränkter öffentlicher Online-Zugang ist ab September 2020 vorgesehen in mittlerer Auflösungsgüte auf filmportal.de.

Zusammen mit zwei weiteren Institutionen, der Deutschen Kinemathek und dem Bundes-Filmarchiv, beide in Berlin, erfüllt das DFF die Aufgaben einer zentralen Deutschen Kinemathek und kümmert sich um die Bewahrung und Vermittlung des filmischen Erbes. Anke Mebold ist angestellte Filmrestauratorin des DFF.

Mit Dank an: Rolf Beck, Monika Bock, Megumi Hayakawa, Peter Matthies, Günther Osterloh, Ulf Richter, Tobias Schönrock, Thomas Worschech u.v.m, vor allem auch: die Mitarbeiter von ARRI Media – Restoration sowie Haghefilm Digitaal.