Filmblog // 30. Africa Alive: Ein Blick ins Festivalprogramm

Vom 1. bis 27. Februar 2024 präsentiert das Africa-Alive-Festival Spiel- und Dokumentarfilme im Kino des DFF und im Filmforum Höchst. Die DFF-Redaktion empfiehlt einige Filme aus dem vielseitigen, rund 30 Filme umfassenden Programm.

Die 30. Ausgabe nimmt mit Filmen wie Alain Kassandas Dokumentarfilm COCONUT HEAD GENERATION, der politisch engagierte Studierende an einer nigerianischen Universität begleitet, die Film- und Kinogeschichte des afrikanischen Kontinents in den Blick. Ebenfalls im Programm ist Kassandas Dokumentarfilm COLETTE & JUSTIN, der die Erfahrungen der Großeltern des Regisseurs verarbeitet und versucht,  mittels eines Blicks in die Vergangenheit die Zukunft besser zu verstehen. Alain Kassanda wird zu beiden Vorstellungen zu Gast sein. Regisseur Moussa Sene Absa wird ebenfalls im DFF zu Gast sein: Sein Film XALÉ erzählt vom Alltag und den Kämpfen von Frauen im Senegal. Von einem Kampf erzählt auch Apolline Traorés SIRA, der von einem Filmgespräch mit der Afrikanistin Maimouna Jah begleitet wird.

SIRA (Burkina Faso/Frankreich/Deutschland/Senegal 2023. R: Apolline Traoré)

Schauplatz der Geschichte ist die Sahelzone, das von der Atlantikküste bis zum Nil reichende, von starker Trockenheit betroffene Gebiet, in dem es seit mehreren Jahren verstärkt zu terroristischen Angriffen kommt. Im Mittelpunkt steht die titelgebende Sira, eine junge Fulani-Nomadin, die mit ihrer Familie durch die Wüste reist, um das Dorf ihres Verlobten zu erreichen. Unterwegs werden sie von islamistischen Terroristen überfallen. Sira wird entführt, vergewaltigt und in der Wüste zurückgelassen. Ohne Wasser und Schutz gegen die erbarmungslose Sonne kämpft sie sich durch die Wüste und erreicht schließlich das Camp der Terroristen. Sie versteckt sich in einer nahegelegenen Höhle, wo sie ihr weiteres Vorgehen plant.

Die Geschichte erzählt von einer Frau in einem Kriegsgebiet, an dem Recht und Ordnung vollkommen außer Kraft gesetzt sind und Männer mit Waffen und ohne Furcht vor Strafe herrschen. Durch diese Welt kämpft sich Sira, deren Schritte das Publikum gebannt verfolgt, mit unglaublicher Entschlossenheit und Überlebenswillen. Die Schilderung des Überlebenskampfes einer Frau, der trotz seiner packenden Inszenierung nicht die Bindung zur Realität verliert, erweitert das durch Nachrichten geprägte Bild eines Krisengebiets, in dem schätzungsweise rund 30 Millionen Menschen leben.

SIRA ist der sechste Spielfilm der burkinischen Regisseurin Apolline Traoré, die auch in ihren früheren Filmen bereits starke Frauen ins Zentrum ihrer Geschichten rückte, und gewann 2023 bei seine Premiere auf der Berlinale den Publikumspreis der Sektion “Panorama”.

(Naima Wagner)

COCONUT HEAD GENERATION (Frankreich/Nigeria 2023. R: Alain Kassanda)

In einem kleinen, von gemusterten Vorhängen abgedunkelten Hörsaal steht ein Beamer. Aufgebockt von einem Holzkeil, wirft er sein Bild auf eine fleckige Wand. Während vor dem Gebäude ein Dieselgenerator ruckelt, um den nötigen Strom für seinen Betrieb zu generieren, sitzen drinnen etwa 15 bis 20 Studierende und sichten gemeinsam Mahamat-Saleh Harouns DARATT (TD/FR/BE/AT 2006). Das akademische Jahr hat gerade begonnen und die Thursday Film Series an der University of Ibadan in Nigeria, der ältesten Universität des Landes, feiert ihren Eröffnungsabend. Nach dem Film wollen die jungen Erwachsenen gemeinsam über das Gesehene diskutieren. Die Filme wurden passend zu übergeordnete Monatsthemen ausgewählt; Dekolonisierung, Feminismus, Migration, Demokratie, die Rechte von Minderheiten, Studienbedingungen und Polizeibrutalität sind nur einige von ihnen. Etwas mehr als 21.000 Naira stehen dem Team der TFS, ebenfalls Studierende, zum Beginn des Jahres zur Verfügung – zum Zeitpunkt der Aufzeichnung umgerechnet etwas weniger als 60 Euro.

In unaufgeregten Bildern begleitet der französisch-kongolesische Filmemacher Alain Kassanda in seinem neuesten Dokumentarfilm eine Generation, die von ihren Älteren als „Coconut Heads“ bezeichnet wird. Verantwortungslos, faul und stur sollen diese jungen Menschen sein, doch in Kassandas neuesten Dokumentarfilm beweisen sie eher das Gegenteil: Jede Woche kommen sie zur TFS, diskutieren gemeinsam, hinterfragen den Status Quo und setzen sich trotz der Gewalt, die ihnen von der Polizei entgegengebracht wird, auch außerhalb des Hörsaals für eine bessere Zukunft ein. Ihre Entschlossenheit zu erleben macht COCONUT HEAD GENERATION zu einem besonders eindrücklichen Seherlebnis.

(Katharina Popp)

COLETTE & JUSTIN (Frankreich/Belgien 2022. R: Alain Kassanda)

COLETTE & JUSTIN

In COLETTE & JUSTIN erzählt Alain Kassanda die koloniale Geschichte der demokratischen Republik Kongo durch die persönlichen Erfahrungen seiner Großeltern, Colette und Justin. Diese spielten eine zentrale Rolle auf dem Weg zur Unabhängigkeit und Entkolonialisierung des Landes. Der Dokumentarfilm besteht hauptsächlich aus Fotos und historischem Filmmaterial, unterlegt mit Kassandas Gedanken zur Kolonialzeit und den Stimmen seiner Großeltern. In Interviews berichten Colette und Justin von ihrer Jugend unter belgischer Herrschaft, ihrer Rolle in den Unabhängigkeitsbewegungen bis hin zu ihrer Migration nach Frankreich in den 1990er Jahren. Das Publikum erhält Einblicke in das Leben der Baluba, einer kongolesischen Gruppe, die eine Schlüsselrolle in der Unabhängigkeitsbewegung des Kongo spielte. Diese Gruppe bildete die kongolesische Oberschicht, zu der auch Kassandas Großeltern zählten. Nach Erreichen der Unabhängigkeit spielte Justin eine aktive Rolle in den folgenden Sezessionsbewegungen.

Der Film regt zum Nachdenken an, indem er zeigt, dass die Spuren des Kolonialismus noch heute ständig präsent sind. Er enthüllt allerdings nicht nur die Spaltungen zwischen den Volksgruppen und die Herausforderungen der Kolonialzeit, sondern betont ebenfalls Kassandas eigene Gedanken und den Bezug zu seiner Familie. Die Verknüpfung privater und politischer Geschichte macht den Film besonders: so ist er tiefgründig, informativ und beeindruckend.

(Finja Paarmann, Redaktionspraktikantin)

CODE DER ANGST (Deutschland/Kamerun 2023. R: Appolain Siewe)

CODE

Kamerun im Jahr 2013: Der LGBTQ+-Aktivist Eric Lebemes bezahlt für sein Engagement und seine Sexualität mit seinem Leben. Appolain Siewe, ein in Berlin lebender kamerunischer Filmemacher, liest über die Ermordung Lebemes und beschließt, sich mit der in seinem Heimatland herrschenden Homophobie auseinanderzusetzen und den dort grausam Unterdrückten eine Stimme zu geben. Mit der Kamera im Gepäck reist er in das zentralafrikanische Land und trifft verschiedene Akteur:innen der LGBTQ+-Szene, alte Bekannte, die eigene Familie, Wissenschaftler und Geistliche, um dem Hass und der Kriminalisierung auf den Grund zu gehen. Die erschütternde gesellschaftliche Realität vor Ort hat selbst für den Regisseur Folgen, deren Tragweite ihm zu Anfang des Projekts nicht bewusst ist. Siewes Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft lässt den Zuschauenden gleichermaßen berührt wie betroffen zurück, und thematisiert nicht nur historische und gesellschaftskritische Zusammenhänge, sondern stellt auch die Frage nach der eigenen politischer Verantwortung. Ein erschütterndes Bild der Realität, das es sich umso mehr lohnt, zu betrachten.

(Siri Scholtes)

Die fast 15 Jahre alte Awa ist gut in der Schule und träumt von der Zukunft. Was genau sie sich für sich erhofft, bleibt dabei unklar. Spielt ihr neuer Freund Tafa eine Rolle? Oder setzt Sie eher auf eine berufliche Karriere? Oder beides? Dagegen sind die Wünsche ihres Zwillingsbruders Adama in Moussa Sene Absas Film XALÉ (Senegal/Elfenbeinküste 2022) vollkommen eindeutig: Er will nach Paris. Nicht nur wegen des Eiffelturms, sondern auch, um dort Geld zu verdienen, um seinen Eltern eine bessere Zukunft, ein schönes Haus, ein Auto – einfach alles zu ermöglichen, damit sie es schöner haben. Dabei leben sie ganz ordentlich in Dakar, der Hauptstadt Senegals. Seine Freunde verlachen ihn dafür, prophezeien ihm den frühen Tod durch Ertrinken, halten ihn für einen Spinner, während Adama sein Ziel gegen alle Widerstände stur weiterverfolgt.

Dann stirbt die Großmutter der Zwillinge und äußert einen fatalen letzten Wunsch, der vor allem Awas Leben komplett aus der Bahn wirft. Doch sie weigert sich, ein Opfer zu sein und nimmt ihr Geschick selbst in die Hand. Dabei schreckt sie auch vor Gewalt nicht zurück. Verfremdende und gleichzeitig musikalische Akzente setzt Regisseur Moussa Sene Absa mit einem weiblichen und einem männlichen Chor, die das Geschehen wie im griechischen Theater kommentierend begleiten.

(Frauke Haß)