Filmblog // AUF DER ADAMANT

von Friederike Hirth

Die „Adamant“ ist eine außergewöhnliche Tagesklinik: mitten in Paris schwimmt sie auf der Seine. Das Daycare-Zentrum bietet Erwachsenen, die an psychischen Erkrankungen leiden, einen Raum sowie Betreuung an. Sie bekommen Hilfe zur Orientierung im Alltag und Unterstützung, damit sie den Mut nicht verlieren oder ihn wiederfinden.

Regisseur Nicolas Philibert wirft in seinem Dokumentarfilm SUR L’ADAMANT (Auf der Adamant, FR / JP 2023) einen Blick auf eben diese Betreuungsstätte. Auf rund 650 Quadratmetern findet sich hier täglich ein bunter Haufen zusammen, den Philibert im Sommer und Herbst 2021 über mehrere Monate hinweg begleitete. Auf der Adamant wird vor allem auf kreative Therapieansätze gesetzt: Die Patient:innen können beim Malen neue Ausdrucksformen finden, sich beim Schreiben von Liedern ausprobieren oder sich im Planen eines Filmfestivals versuchen. Das Team versucht vehement, gegen die Verschlechterung der Zustände und die Entmenschlichung in der Psychiatrie anzuarbeiten und neue Ansätze zu verfolgen.

Dabei stehen ganz klar die Patient:innen im Mittelpunkt. Das große Holzschiff scheint ein sicherer Ort für sie zu sein, um sich frei auszuleben – ob beim Morgenkaffee, mit einem Buch aus der umfangreichen Bibliothek, beim gemeinsamen Marmeladekochen, beim Musizieren oder beim wöchentlich veranstalteten Filmclub, in dem auch Klassiker von François Truffaut und Federico Fellini auf dem Programm stehen.

Philibert ist Teil der Klinik. Er ist bei den Morgenbesprechungen dabei, die sich auch einmal um das EM-Finale drehen, bei Musik- und Nähworkshops oder bei Gesprächen zwischen Patient:innen und Ärzt:innen. Diese scheinen nie mit einer therapeutischen Hauptfunktion angegangen zu werden – vielmehr scheint die Therapiewirkung ganz selbstverständlich aus der Beschäftigung der Patient:innen mit ihren verschiedenen Aufgaben und der Kommunikation mit ihren Pfleger:innen zu erwachsen.

Eine weitere Besonderheit an der „Adamant“ ist, dass auf den ersten Blick kaum ersichtlich ist, wer pflegt, wer therapiert, wer Hilfe braucht und krank ist – offensichtlich wurde viel Mühe darauf verwendet, ein wirkliches Miteinander zu schaffen. Was auch bedeutet, dass die Kranken ihre Aufgaben haben und Verantwortung übernehmen müssen – ein Patient ist im Hintergrund immer wieder beim Blumengießen zu sehen.

Offen sprechen die Patient:innen darüber, was sie beschäftigt. Einer weiß, dass er ohne seine Medikamente gewaltbereit wäre; eine andere ist froh, dass sie die Stimmen nicht mehr hören muss und so endlich wieder ihren Sohn sehen darf, den sie in eine Pflegefamilie geben musste. Philibert lässt sie aber auch einfach mal drauf los reden. Und selbst wenn der Redefluss verstummt, verweilt er mit der Kamera auf ihnen, bis sie von sich aus wieder zu sprechen beginnen.

Die meisten Patient:innen werden gar nicht erst vorgestellt, sondern sind einfach irgendwann im Bild und fangen an zu erzählen. Dabei ist der französische Dokumentarfilmer anscheinend am stärksten an jenen interessiert, die etwas exaltierter sind und daher unterhaltsame Momente abliefern. Da ist zum Beispiel ein optisch ein wenig an Roman Polanski erinnernder Mann, der in einer Szene ein selbst komponiertes Lied singt. Später erzählt er, warum er und sein Bruder angeblich die Vorlagen für die Protagonisten in Wim Wenders‘ PARIS TEXAS seien. AUF DER ADAMANT bringt den Kinobesucher:innen die Patient:innen so vor allem als Menschen nahe, insbesondere auch, weil ihre jeweiligen Erkrankungen nie direkt thematisiert werden.

Schwere Konflikte werden im gesamten Film nicht gezeigt. Selbst wenn am Ende eine Patientin zu einer ausladenden und sichtlich erregten Rede darüber ansetzt, dass sie einen wöchentlichen Tanzkurs veranstalten will, reichen ein paar Worte des Personals, um die Wogen zu glätten. Probleme scheinen hier überraschenderweise keine zu bestehen – oder Philibert will sie nicht zeigen.

So wirkt die „Adamant“ fast wie ein unwirklicher Ort, den die in Frankreich ebenfalls heftig geführten Debatten um die zu wenigen finanziellen Mittel für das Gesundheitssystem nicht zu tangieren scheinen. Indem Philibert diesen Ort zeigt, an dem Therapie und Menschlichkeit gemeinsam funktionieren, zeigt er, was möglich wäre und vor allem, was möglich sein sollte.

Nicolas Philiberts AUF DER ADAMANT wurde auf der diesjährigen 73. Berlinale mit dem Goldenen Bären für den besten Film ausgezeichnet und ist vom 14. September an im Kino zu sehen.