Filmblog // Werke der Filmpionierin Lotte Reiniger kostenlos auf DFF Kino+ streamen

von Frieder Brehm, Redaktionspraktikant

Die hauseigene Online-Plattform DFF Kino+ erweitert das reguläre Kinoprogramm des DFF mit einem zusätzlichen Angebot an Filmraritäten. Neben Schätzen aus dem Archiv, wie frühen Farbfilmen oder Frankfurter Film- und Kinogeschichte, gibt es auch Filme zu sehen, die im Förderprogramm Filmerbe (FFE) vom DFF restauriert und digitalisiert wurden. So zum Beispiel einige der frühen Arbeiten von Filmpionierin Lotte Reiniger. Sie ist eine der 21 Frauen, deren Schaffen in der Sonderausstellung WEIMAR WEIBLICH. Frauen und Geschlechtervielfalt im Kino der Moderne (1918-1933) besonders in den Blick genommen wird.

Mit DIE ABENTEUER DES PRINZEN ACHMED (1926) schuf Reiniger den ersten, noch erhaltenen abendfüllenden Animationsfilm: ein Silhouettenfilm, für den sie über einen Verlauf von etwa drei Jahren mehr als 250.000 Einzelbilder von Scherenschnitten aufnahm. Für die Scherenschnitte bearbeitete sie Papier oder ein ähnliches Material so, dass entweder der zurückbleibende Umriss oder die Ausschnitte vor einem kontrastierenden Hintergrund ein Bild ergaben. Wenn es sich bei den Ausschnitten um Figuren handelte, wurden deren einzelne Körperteile durch dünne Drähte miteinander verbunden, damit sie beweglich waren und für mehrere Bilder verwendet werden konnten. Die Scherenschnitte wurden auf einen Tricktisch gelegt und mit einer sogenannten Rostrum-Kamera aufgenommen. Diese über dem Tisch angebrachte, nach unten gerichtete Kamera kam häufig bei Animationsfilmen zum Einsatz. Der Eindruck von Bewegung entsteht durch das Stop-Motion-Verfahren, bei dem die einzeln aufgenommenen Bilder in schneller Abfolge – 24 Bilder pro Sekunde – abgespielt werden.

DIE ABENTEUER DES PRINZEN ACHMED (DE 1926, R: Lotte Reiniger) Quelle: Deutsche Kinemathek / Fotoarchiv [0777]
Lotte Reiniger beim Scherenschnitt im Abbey Arts Centre London

In den 1920er Jahren, als Frauen in der Filmindustrie noch stark unterrepräsentiert waren, gelang es Lotte Reiniger nicht nur, in dieser Fuß zu fassen, sondern aktiv dazu beizutragen, Film als eigenständige Kunstform zu etablieren. Gemeinsam mit ihrem Mann Carl Koch entwickelte sie einen mehrstufigen Tricktisch, der eine Arbeit mit verschiedenen Ebenen und damit Tiefeneffekte ermöglicht. Reinigers Arbeiten und Innovationen leisteten der fortwährenden Weiterentwicklung des Animationsfilms gewaltigen Vorschub.

Auch die bei DFF Kino+ zu findenden Kurzfilme bedienen sich der Silhouetten-Animationstechnik. In kunstvollem, filigranem Stil erzählt sie Märchen, wie ASCHENPUTTEL (1923), DORNRÖSCHEN (1922) oder DAS ORNAMENT DES VERLIEBTEN HERZENS (1919). Da ist es kein Wunder, dass auch heutige Filme ihren Stil aufgreifen: In HARRY POTTER AND THE DEATHLY HALLOWS – PART 1 (Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1, GB/US 2010, R: David Yates) wird das Märchen der Drei Brüder als Animations-Sequenz erzählt, wobei sich einige ästhetische Parallelen zum Scherenschnitt Reinigers finden lassen, so zum Beispiel die Physiognomie und Kleidung der Personen.

10 MINUTEN MOZART (DE 1930, R: Lotte Reiniger)
DORNRÖSCHEN (DE 1922, R: Lotte Reiniger)

Die Figurengestaltung in einigen von Lotte Reinigers Filmen kann heute durchaus kritisch betrachtet werden. Anknüpfend an das damalige Publikumsinteresse werden unter anderem Geschichten von “exotischen Kulturen” erzählt, in denen auf rassistische Stereotype zurückgegriffen wird. Die Filme bleiben jedoch aus ästhetischer und technischer Sicht sehr sehenswert. Reinigers bemerkenswerte Detailverliebtheit zeigt sich bei der Gestaltung verschiedener Gemütszustände von Figuren, der um Naturtreue bemühten Darstellung der Bewegung von Affen, Hunden und anderen Tieren sowie anhand minutiös ausgearbeiteter Szenenhintergründe.
“Mir ist es passiert, dass ich im Zoologischen Garten einen Strauß-Vogel nachmachen wollte, plötzlich hinter mir ein furchtbares Gelächter hörte, die dachten, die Olle ist jetzt ganz verrückt geworden. Ich versuche, die Bewegung zu erfassen (…) auch bei Tieren (…). Man muss möglichst am eigenen Körper zu imitieren versuchen, das ist bei Tieren manchmal sehr schwer.” So zitierte Walter Schobert Lotte Reiniger in seinem Artikel Keine Angst vor zuviel Phantasie. Endlich Ehrung für Lotte Reiniger, die große Künstlerin des Scherenschnitt­films in der Frankfurter Rundschau vom 9. Juni 1972.

Bei der Betrachtung kommt den Filmen auch die Musik zugute, die im Zuge der Restaurierung und Digitalisierung vom Cello-Duo “Cellophon” neu komponiert wurde. Dabei sind unterschiedlichste Klänge entstanden, die wiederkehrende Motive und Charaktere musikalisch untermalen und auch überraschende Wendungen auditiv erlebbar machen und damit den Filmen emotionale Tiefe verleihen.

Die Sonderausstellung WEIMAR WEIBLICH hält noch einiges mehr über Lotte Reiniger bereit, unter anderem ein Interview im Originalton und einen Ausschnitt aus dem ersten noch erhaltenen abendfüllenden Animationsfilm DIE ABENTEUER DES PRINZEN ACHMED.

Auf DFF Kino+ können neben den Märchen-Filmen ASCHENPUTTEL, DORNRÖSCHEN und DAS ORNAMENT DES VERLIEBTEN HERZENS die zwischen 1921 und 1930 entstandenen Kurzfilme DER FLIEGENDE KOFFER, DER SCHEINTOTE CHINESE, DIE JAGD NACH DEM GLÜCK, DOKTOR DOLITTLE, GROTESKEN IM SCHNEE und ZEHN MINUTEN MOZART nach kurzer Registrierung kostenlos angesehen werden.

Außerdem abrufbar sind Richard Eichbergs Verfilmungen von Thea von Harbous Romanvorlage DER TIGER VON ESCHNAPUR (1938) und DAS INDISCHE GRABMAL (1938). Dazu kommen einige frühe Spiel- und Dokumentarfilme wie Max Reichmanns ICH GLAUB‘ NIE MEHR AN EINE FRAU (1930) oder MICHELANGELO. DAS LEBEN EINES TITANEN (1938) und weitere sehenswerte Filmraritäten.