Hier kommt Alex!

Der Gestaltwandler hat es wieder getan. Mit dem sechsten Studio-Album Tranquility Base Hotel & Casino erfindet Alex Turner seine Band, die Arctic Monkeys, gerade wieder neu. Auf die jugendlich-stürmischen Brit-Rock-Anfänge Mitte der 2000er folgte die betont lässige Stoner-Rock-Phase, die 2013 im größten Erfolg der Band, dem Album AM, gipfelte. Das neue Album ist nun kein rifflastiger Rock’n’Roll mehr, sondern Lounge Pop mit viel Klavier-Geklimper. Es besingt verträumt eine Reise zum Mond, zum titelgebenden, fiktiven Hotelkomplex.

Die Fans hat dieser beständige Wandel ganz schön mitgenommen: Zuerst flehten sie nach mehr stürmischem Brit-Rock, jetzt gierten sie nach mehr lässigem Riff-Rock – doch beide Male wurden sie enttäuscht.

Aber was hat all das jetzt eigentlich mit dem legendären Regisseur Stanley Kubrick zu tun?

Im Musikvideo zur Single-Auskopplung Four Out of Five finden sich allerhand Anspielungen auf das Werk des Filmemachers – bevor über deren Bedeutung spekuliert wird, ein paar Beispiele:

0 Minuten 26 Sekunden
Das Video beginnt mit einer eleganten Kamerafahrt auf Alex Turner, der in einem beigen Sakko die ersten Takte des Lieds auf einem Klavier klimpert. Dann setzt ein Alarmgeräusch ein. Turner erhebt sich und geht einen schicken Gang entlang, ein Hund folgt ihm. Und plötzlich ist da, im Rhythmus des Alarms, pulsierendes rotes Licht wie aus 2001: A SPACE ODYSSEY (GB/US 1968) – so als wäre HALs Kontrollraum nur eine Tür weiter.

0 Minuten 37 Sekunden
Nur für den Bruchteil einer Sekunde wechselt Turner den Ort. Vom Gang mit Stuck, Vorhängen und Holzboden springt das Bild nach München. Genauer: in die U-Bahn am Marienplatz. Nicht New York, oder London – München! In Zentralperspektive (Kubricks Lieblingsperspektive) ist Alex Turner von hinten zu sehen, die U-Bahn-Station wölbt sich wie eine große, orangefarbene Röhre über ihn. Und wieder kommt einem 2001 in den Sinn: Astronaut Bowman im orangefarbenen Anzug, wie er den weißen Kontrollraum im Raumschiff Discovery durchschreitet.

0 Minuten 45 Sekunden
Weiter geht’s im edlen Gang vom Anfang: Turner hat inzwischen das Zimmer am Ende erreicht. Auf einem Tisch steht ein Modell des Tranquility Base Hotel & Casino, das dem Album seinen Namen gibt. Er umrundet es einmal und beugt sich danach darüber – mit den Händen auf den Knien. Diesmal ist der Horrorklassiker THE SHINING (US 1980) im Bild versteckt: nicht dessen Schauplatz, das Overlook-Hotel, sondern eine Szene im Film, in der Jack Nicholson als Jack Torrance auf ein Modell des Heckenlabyrinths in exakt derselben Pose herabblickt.

2 Minuten 15 Sekunden
Eine Totale von außen zeigt kein Hotel am Mond, sondern ganz klar einen Ort auf der Erde: ein barockes Schloss mit gepflegtem Rasen – selbstverständlich in Zentralperspektive. Im Bild verbergen sich diesmal gleich zwei Anspielungen: Das Schloss erinnert zunächst einmal an das ebenfalls barocke Schloss Oberschleißheim, nahe München, welches Drehort für Kubricks Antikriegsfilm PATHS OF GLORY (US 1957) war und dafür in ähnlich majestätischer Weise gefilmt wurde. Es erinnert aber auch an das Kostümepos BARRY LYNDON (GB 1975): Denn einige Szenen des Films entstanden im selben Schloss, Castle Howard in Yorkshire.

2 Minuten 22 Sekunden
Von der Schloss-Totale springt das Musikvideo wieder zurück in den Science-Fiction-Modus. Die berühmte Stargate-Sequenz aus 2001 wird angedeutet: Weiße Lichtflecken ziehen wie auf einem Windows-98-Bildschirmschoner über eine Leinwand. Darüber legt sich der Grundriss des Tranquility Base Hotel & Casino.

2 Minuten 38 Sekunden
Dann spielt auch der Liedtext mit. Turner singt eine Mischung aus Hotel-Werbetext und Hotel-Rezension. Im Refrain geht es um die Nachbarschaft des Komplexes: „Cute new places keep on popping up. Around Clavius it’s all getting gentrified.“ Das Hotel liegt also beim Mondkrater Clavius, der auch in 2001 ein Schauplatz ist. Hier entdecken die Mondforscher den schwarzen Monolithen.

3 Minuten 12 Sekunden
Was bei einem Hotel nicht fehlen darf: Zimmerschlüssel – noch einmal die Chance, auf SHINING zu verweisen, dort kommt schließlich ein ganz berühmter vor. Sechseckig wie aus dem Overlook Hotel sind die blauen Schlüsselanhänger geformt. Anstatt für „Room 237“ ist der Schlüssel im Video jedoch für das Zimmer mit der Nummer 521 vorgesehen.

Versteckte und weniger verstecke Anspielungen finden sich im Video. Wenn man die zitierten Filme (Sci-Fi-Epos, Horrorklassiker, Kostümepos, Antikriegsfilm) betrachtet drängt sich eine Parallele zwischen Turner und Kubrick auf: die Wandelbarkeit. Kubrick bediente sich vieler verschiedener Genres, seine Filmografie eröffnet ein weites Spektrum. Vielleicht ist es das, an was Turner auch mit dem Video und seiner Diskografie anschließen will. Und nebenbei soll voller Bescheidenheit vermutlich auch noch ein wenig vom monumentalen Legendenstatuts des großen Idols auf ihn übergehen.

Titelbild: Die Münchener U-Bahn, durchschritten von Sänger Alex Turner. (Still: Domino Recording Co)

Von Jakob Maurer

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