Bär im Film

Von Baloo bis Ted: Bären haben Filmgeschichte geschrieben. Aber welche Bären schafften es nach ganz oben? Und: wie viel Bär steckt im Filmbären?

von Stefanie Plappert

Der Disclaimer zuerst: TED kommt zwar im Ankündigungstext vor, nicht aber im Text – Paddington war stärker (dazu später mehr). Und: Bei den im Folgenden porträtierten Bären geht es weitestgehend um Filmcharaktere in Spielfilmen[1], nicht um die echten Bären dahinter. Ähnlichkeiten mit lebenden Bären sind unbeabsichtigt und zufällig.

Bär und Mensch verbindet eine lange gemeinsame Kulturgeschichte. Seit der ersten bekannten Darstellung von Höhlenbären in der Chauvet-Höhle (Ardèche-Tal, Frankreich, vor mindestens 20.000 Jahren), die Werner Herzog für seinen 3D-Film CAVE OF FORGOTTEN DREAMS porträtieren durfte, ist klar: Während physiognomische Ähnlichkeit und vergleichbares Nahrungsverhalten einerseits zu Konkurrenz zwischen Bär und Mensch führten, sind andererseits Ursprungsmythen in vielen Kulturen mit dem Bären verknüpft.

Das Tier wird wegen seiner Kraft bewundert, und als verwandelter Mensch in Erzählungen verewigt – von der in einen Bären verwandelten Nymphe Kallysto in der griechischen Mythologie, die nach ihrer gewaltsamen Tötung als Sternbild „Großer Bär“ ans Firmament aufstieg, bis zum Grimm‘schen Schneeweißchen und Rosenrot, deren Übernachtungsgast in Gestalt eines sprechenden schwarzen Bären sich zu guter Letzt als verwandelter Königssohn erweist.

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Aber zurück zum Film
: Auch hier ist der Bär ein historisch bedeutsamer Protagonist. Nicht in den allerersten Filmen, aber doch schon 1907: Filmpionier Edwin S. Porters THE „TEDDY“ BEARS erzählt in insgesamt 14 Minuten die Geschichte einer Teddybärenfamilie, ein Hybrid aus Märchenfragmenten, Stopptrickverfahren und politischer Satire[2].

 

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Hier fallen bereits mehrere Neuerungen der Filmgeschichte (wir befinden uns im Jahr 12 der Erfindung des Kinos) zusammen: Es gibt eine erzählende Filmhandlung, und die Hauptfiguren sind (Teddy-)Bären, die auch gleich in einer aufwändigen Sequenz animiert wurden.

Bären kommen hier doppelt vor, als vermenschlichte Tiere (die Bärenfamilie mit traditionellen Werten und Verhaltensweisen der Menschen) und als mechanisiertes Spielzeug (Teddybären). Natürliche Bären stecken in keinem der Pelze. Der Film wird eher selten gezeigt, die Namen der Bärendarsteller/innen sind heute nicht mehr bekannt. Stars wurden in den ersten Jahren der Filmgeschichte wenige gemacht – und im Tier(Bären-)reich schon gar nicht!

Einige Jahrzehnte später, 1967, erblickte ein anderer Bär das Licht des Projektionsstrahls: Baloo der Bär, im 19. abendfüllenden Spielfilm der Walt Disney Company, nach der sehr frei adaptierten Vorlage von Rudyard Kiplings The Jungle Book (1894).

 

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Es handelt sich bei Baloo um einen Lippenbären, der seinem englischen Namen (wörtlich „Faultierbär“) charakterlich durchaus gerecht wird: Er ist ein Tagedieb und Lebemann (unvergessen sein Gassenhauer „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“), grundgutmütig, liebenswert und begeisterungsfähig, aber nicht recht zielorientiert – im Gegensatz zu seinem Gegenspieler, dem strengen Panther Baghira.

Disney’s Version des Lippenbären ist mehr als eine menschliche Projektion[3]: eine fast klassische Fabel, in der Lebensfreude am Ende doch siegt, ganz im Sinne dieser literarischen Gattung als „lehrhafte Erzählung in Vers oder Prosa, in der Tiere nach menschlichen Verhaltensweisen handeln und in der eine allgemein anerkannte Wahrheit, eine praktische Lebensweisheit o. Ä. veranschaulicht wird“.

PADDINGTON (UK 2014, R: Paul King) nach der literarischen Vorlage von Michael Bond (A bear called Paddington, 1958) ist schon die dritte Literaturverfilmung in dieser Bärenfilmzusammenstellung. Eine freie Adaption, als Live-Action-Verfilmung mit einer Mischung aus realen Schauspieler/innen und einem computergenerierten Bären.

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PADDINGTON ist eine sehr seltene Bärenart „aus dem dunkelsten Peru“, es gibt nur noch wenige seiner Art – mehr erfährt man im Buch (oder Film) nicht. Er kann jedoch als „Brillenbär“ identifiziert werden. Diese Art wird auch „Andenbär“ genannt, und stammt wirklich aus Peru.

Brillenbären sind Anpassungskünstler, sie ernähren sich überwiegend pflanzlich, sind sowohl tag- als auch nachtaktiv und halten keine Winterruhe. Auch Paddington ist ein pflegeleichter Allesfresser, auch wenn er Marmelade am liebsten mag (hier weichen Biologie und Dichtung etwas voneinander ab); seine übrigen filmischen Charaktereigenschaften sind eher dem Reich der Fiktion zuzurechnen.

Die Rolle des Bären in diesem Film jedoch, als eines Wirtschaftsflüchtlings im Containerschiff, modelliert nach den rettenden Kindertransporten der 30er Jahre, ist eine höchst aktuelle Parabel auf die Gegenwart. So wenig „echter“ Bär in ihm stecken mag, so sehr ist er doch ein „Starschauspieler“ im Sinne eines engagierten Kinos.

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THE REVENANT
(US 2015, R: Alejandro Gonsález Inárritu), eine weitere Romanverfilmung (nach The Revenant: A Novel of Revenge, Michael Punke, 2002): In einer der bekanntesten Szenen wird der Trapper Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) von einer Bärin angegriffen. Das Tier jedoch, das ist die schlechte Nachricht, ist auch hier ein „gemachtes“, ein komplett im Computer erzeugtes.

Stuntman Glenn Ennis trug einen knallblauen ausgestopften Anzug und fungierte lediglich als „Stand-In“, als Anspielpartner für den tatsächlich gefilmten DiCaprio.

Ennis beschrieb die Arbeit wie folgt: „Alejandro legte größten Wert darauf, dass sich der blaue Bär bewegte wie ein echter Bär… Obwohl es ein großer Schlumpf-Bär war, musste er dennoch so authentisch wie möglich sein”[4].

In der Postproduktion des Films wurden dann alle „blauen“ Anteile des Bildes mit dem computergenerierten Bären ersetzt[5].

Dabei musste auf jedes Detail geachtet werden – unter anderem darauf, wie nass der Pelz sein würde, wie er auf Licht reagieren würde und wie das Publikum die Röte des Blutes und die Wunde sehen würde.

Heraus kam: Ein sehr überzeugender Charakter, aber leider immer noch kein echter Bär. Fest steht: „Fake-Bären“ erleben in den vergangenen Jahren einen Aufschwung:

Alle vier hier abgebildeten digitalen Bären machten Furore: DER GOLDENE KOMPASS konnte 2007 mit einem beeindruckenden Eisbären aufwarten (links im Bild); Winnie the Pooh aus CHRISTOPHER ROBIN war 2018 für einen Oscar nominiert, Baloo aus der Netflix-Realverfilmung MOWGLI. LEGEND OF THE JUNGLE (2018) (ganz rechts im Bild) verkörperte den berühmten Zeichentrickbären mit realistischerem Aussehen.

Insbesondere im Jahr 2018 beeindruckten digitale Bären. Die hier abgebildeten vereint ihr Schöpfer: Animator Laurent Laban arbeitete an THE GOLDEN COMPASS, an PADDINGTON 1 und 2 und an CHRISTOPHER ROBIN. In der Szene werden ihm “Bärenfähigkeiten” (having “bear skills”) zugeschrieben, er selbst sagt:“There is a rich palette of representation around a bear. From a stuffed toy to a real grizzly, I believe that has quite an impact on our imagination.”[6]

Immerhin also: ein Computerbärenboom.
Aber wo bleiben nun eigentlich die realen echten wirklichen Bären?

Der wahrscheinlich Prominenteste ist derjenige aus Jean-Jacques Annauds Spielfilm L’OURS (Der Bär, FR 1988).
Jean-Jacques Annaud bereitete sich sechs Jahre auf den Film vor, und besetzte seinen Hauptdarsteller aus 50 pelzigen Bewerbern: Die Wahl fiel auf „Bart the Bear“. Neben Bart dem Bären in der Hauptrolle wurden mehrere Braunbärenjungen für die Rolle des kleinen Bären gecastet, allesamt Grizzlys (u.a. Youk und Gogol). Das Dressieren der beiden Bären nahm vier Jahre in Anspruch, die Dreharbeiten dauerten 109 Tage, die Produktionskosten betrugen ungefähr 20,3 Millionen Euro.

Annaud sagt über Bart: “I had a vision of this bear in my mind. He would be strong, big, menacing but reliable, a good person at heart, very much a John Wayne kind of character. Unfortunately, the first bear I met was more of a Dudley Moore bear. Then I met the Travoltas, the Stallones. I didn’t know bears were so different.”[7]

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Barts John-Wayne-haftigkeit bezieht sich vermutlich auf seine starke Leinwandpräsenz, eine gewisse Raubeinigkeit, und die Tatsache, dass er die Wildnis in einer Geschichte verkörpert, die 1885 in Kanada, in British-Columbia, angesiedelt ist. Ein Pionier und Trapper, ein bär-beißiger Einzelkämpfer mit gutem Herzen: Als der Jäger Tom in einem Moment der Unachtsamkeit dem großen Bären auf einem Felsvorsprung gegenübersteht, verschont der Bär trotz deutlicher Drohgebärde den um sein Leben flehenden Jäger.

Sein Vorgehen beschreibt Annaud so: „die …Technik [bestand] im Wesentlichen darin […], auf den bestimmten Moment zu warten, in dem das Tier die Situation selbst erfindet, auf seine natürliche Art.“

Tatsächlich zog ihm Bart einmal die Klauen über den Rücken, so dass Annaud für 2 Monate einen Verband tragen musste; selbstkritisch entschuldigt er jedoch den Bären, er habe sich einfach selbst unaufmerksam und provozierend verhalten.

Es steckt hier also relativ viel echter Bär – namentlich Bart – im Filmbären. Seine Eigenschaften, seine Art, die Rolle auszugestalten, wurden unter möglichst zwanglosen Bedingungen entwickelt.

Dass Drehbuch und Regie auf der narrativen Ebene eine recht kitschige Geschichte favorisierten, mag dem Film als Schwäche ausgelegt werden – nicht jedoch der Schauspielleistung von Bart.

Mit Weiterentwicklung der Naturwissenschaften wurden zahlreiche Mythen um den Bären herum entzaubert, und der Bär büßte seine kulturhistorisch gewachsene Vormachtstellung unter den Tieren ein.

Im Film jedoch kam und kommt er regelmäßig wieder zu Ehren (-Bären), in vielfältigen Rollen und Erscheinungsbildern prägen die Bären seit mehr als 100 Jahren die Kinogeschichte.

[1] Vor diesem Hintergrund wird auch einer der prominentesten Dokumentarfilmbären, derjenige aus Werner Herzogs GRIZZLYMAN (FSK 18), hier nicht genauer betrachtet werden.

[2] Die Hauptfigur des „Teddybären“ war zur Entstehungszeit des Filmes erst 5 Jahre alt: US-Präsident Theodore Roosevelt hatte auf der Bärenjagd (1902) ein Bärenjunges verschont; sein „sportliches Verhalten“ veranlasste politische Cartoonisten dazu, „Teddy“ Roosevelt mit zunehmend süßen kleinen Bären zu porträtieren, ein findiger Spielwarenhersteller folgte im selben Jahr mit Stofftieren mit Knopfaugen und beweglichen Gliedern als „Teddybären“.

[3] Baloo will Mogli das „Kämpfen wie ein Bär“ lehren – das widersinnigerweise die klassischste Variante des „Kämpfen wie ein Mensch“ ist, ein Box-Rundenkampf, wir denken zurück an Skladanowskys BOXENDES KÄNGURUH. Kampftechnisch ist das astrein, animalisch ist das nicht mehr.

[4] Alejandro was adamant that the blue bear moved just like a real bear would move, and it was essential that it had the same nuances that a bear would have. Even though it was a big Smurf bear, it still had to be as authentic as possible. https://perezhilton.com/the-revenant-bear-cgi-leonardo-dicaprio/

[5] https://www.indiewire.com/2016/01/how-they-created-the-bear-vfx-for-the-mauling-of-leonardo-dicaprio-in-the-revenant-175396/

[6] https://www.polygon.com/2019/2/21/18228914/paddington-pooh-cg-bears-2018-special-effects

[7] https://people.com/archive/its-a-grizzly-story-but-bart-the-filmmaking-bear-is-clawing-his-way-to-the-top-vol-32-no-19/