BUCHTIPP: In Zukunft für wen? Museen im Wandel

von Stefanie Plappert

Wie müssen Museen sich verändern, um einem divers aufgestellten Publikum in einer digitalen Welt in der Zukunft noch ein angemessenes und zeitgemäßes Angebot machen zu können? In gleich zwei beinahe parallel erschienenen Sammelbänden untersucht der transcript-Verlag mögliche zukünftige Formen und Chancen für Museen: Während sich „Das Museum der Zukunft“ [1] in Anlehnung an die historische Veröffentlichung von Gerhard Bott [2] an einer Aktualisierung bestehender und stets aktueller Fragestellungen versucht, adressiert das Buch „Museen der Zukunft“ [3] speziell die Fragen, mit denen sich Museen in den vergangenen Jahren zunehmend konfrontiert sehen – und dies nicht zuletzt angesichts der radikal veränderten sozialen, ökonomischen, technischen und kulturellen Bedingungen während und nach einer globalen Pandemie (beide Bücher sind hiervon beeinflusst).

Fragen, mit denen sich auch das DFF konfrontiert sieht: Partizipation, Diversifizierung und Digitalisierung sind nicht nur reale Notwendigkeit, sie bergen auch unzählige Chancen: die Erweiterung des Ausstellungsraumes, den Einbezug von Menschen, die bisher selten ins Museum kommen, eine gesellschaftliche Rolle/Verantwortung, der sich Kulturinstitutionen immer wieder neu stellen wollen und müssen.
Die Kluft zwischen „Dauerhaftigkeit“ (nicht zuletzt ist ein Museum, mit seinen Archiven und Sammlungen, der Ort an dem Kulturgut gesammelt und verwahrt wird) und Aktualitäts- gar Relevanzbedürfnis angesichts mittlerweile glücklicherweise stattfindenden Diskussionen: Das Museum, geboren in der Neugier und Bildungsbeflissenheit des 19. Jahrhunderts, ist im Guten wie im Schlechten ein (Kern)Erzeugnis westlicher Selbstidentifikation und -repräsentation [4]; eine Veränderung „des Museums“, folgerichtig, ein gesprächs- und streitintensiver Prozess. Dies zeigt nicht nur die Auseinandersetzungen um die Veränderung der Museumsdefinition des Internationalen Museumsbundes (ICOM), die in beiden Publikationen als äußerer Rahmen dienen: es ging hierbei „vornehmlich um Anteile einzelner Museumsaufgaben am Ganzen – Kritiker*innen des neuen Vorschlags bemängeln vor allem, dass wesentliche museumsprägende Eigenschaften der alten Definition ad acta gelegt wurden, wie etwa die Permanenz von musealen Institutionen oder die Wissensvermittlung als Zweck der Museumsarbeit.“ [5] Daneben fehlte im Vorschlag von 2019 der Begriff „Enjoyment” [6], der in der bis dahin geltenden Definition als Ziel verankert war. Die neue Definition [7], das wird durchgängig positiv angemerkt, ergänzt die musealen Aufgaben auch um Aspekte von Teilhabe und Zielgruppenerweiterung. Die Repräsentationsfrage spielt auf weiteren Ebenen eine Rolle – pointiert in einer Frage, die beide Bücher beherrscht: Wie bleiben Museen bedeutsam?, wie können sie auch in Zukunft ihren Anspruch von Bildung, Vermittlung und historischer wie gegenwärtiger, Vertretungshoffnung einer Gemeinschaft erhalten?

Oder, kürzer gefasst: Was ist ein Museum der Zukunft?
Zunächst: Ein Raum – idealerweise, da sind sich die Beitragenden beider Bücher einig, einer in dem Platz ist für Diskussionen, ein sozialer Ort, in dem unterschiedliche Positionen verhandelt werden können. Vom Ziel einer besucher:innenzentrierten, interaktiven Institutionen sind die meisten Museen jedoch aus unterschiedlichen Gründen noch entfernt. Im Blick der Autor:innen beider Sammelbände steht zumeist doch das universelle historische oder das Kunstmuseum, mit seiner Identifikationslast und dem Repräsentationsanspruch der umgebenden Gesellschaft. Weniger Berücksichtigung in solchen Diskursen finden die „Partikularmuseen“, solche die sich einzelnen kulturhistorischen Themen widmen. Für diese, so scheint es, ist die Theorie noch nicht ausformuliert – und das mag auch für ein Filmmuseum wie das DFF gelten [8].

Was jedoch in jedem Fall auch für die anstehende Transformation des DFF [9] von Bedeutung ist, sind die Fragen und Ansatzpunkte, die beide Bände anbieten. Ausgehend von einer hoffnungsvollen möglichen Definition „‘Museen der Zukunft‘ sind selbstlernende, reflexive Organismen, die intendiert nach Innovationen suchen.“ [10]. Bis hin zu Wunschideen und Utopismen – nicht zuletzt um dem Museum seine Möglichkeit zum Denken alternativer Erzählungen wieder neu zuzugestehen: „Im Museum, das ich mir erträume, erwachen Artefakte und Werke zu neuem Leben und entfalten ihr volles Fremdheits- und Befremdungspotenzial. Fremdheitsvermittlung, nicht Identitätsstiftung war eigentlich schon immer die Kernkompetenz des Museums – Heimat und Impuls für Neugier und Staunen über die Wunder der Welt, des Lebens und der Kunst.” [11]. Und nicht weniger als „ein Vorbild für das Funktionieren einer neuen Gesellschaftsform sein.“ [12]. Hoffentlich, und wünschenswerterweise, denn, in den starken Worten von Ljubomir Bratíc: „Was die Zukunft betrifft: Das Museum wird, in vielfacher Hinsicht, ein radikales und polyloges [13] sein, oder gar keines.“ [14].

Museen der Zukunft. Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements

von Henning Mohr/Diana Modarressi-Tehrani (Hg.)

erschienen im Transcript Verlag, am 7. Dezember 2021

462 Seiten
ISBN: 978-3-8376-4896-6
ab 38,99 €

Das Museum der Zukunft. 43 neue Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums

von schnittpunkt/Joachim Baur (Hg.)

erschienen im Transcript Verlag, am 24. November 2020

320 Seiten
ISBN: 978-3-8376-5270-3
29,00 €

[1] Joachim Baur (Hg.): Das Museum der Zukunft. 43 neue Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums. 43 neue Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums. Bielefeld (transcript Verlag), 2020.
[2] 1970 erschien der Band »Das Museum der Zukunft. 43 Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums«, herausgegeben von dem deutschen Kunsthistoriker, Historiker und Museumsdirektor Gerhard Bott.
[3] Henning Mohr, Diana Modarressi-Tehrani (Hgg.): Museen der Zukunft. Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements. Bielefeld (transcript Verlag), 2022.
[4] Der Hinweis von Ljubomir Bratić ist dadurch nicht weniger richtig: „Das heißt, dass das Museum – auch wenn uns das alles sehr verstaubt und angesichts der Bürokratisierung dieser Institutionen sehr idealistisch vorkommt – in erste Linie die Funktion hat, Veränderungen in der Gesellschaft zu implementieren. Das Museum ist also eine postrevolutionäre Institution, entstanden aus dem Geist der Revolution als Instrument, die Revolution in der Gesellschaft zu verankern.“ Baur, a.a.O., Seite 102.
[5] Vgl. Eva Kudraß in Baur, a.a.O., S. 168. Zu “Permanence” siehe auch Friederike Landau in Baur, a.a.O., S. 175.
[6] Vgl. Friederike Landau in Baur, a.a.O., S. 175 .
[7] Nach harten Auseinandersetzungen wurde am 24.8.2022 in Prag eine angepasste Definition verabschiedet. https://icom.museum/en/news/icom-approves-a-new-museum-definition/.
[8] Einige Ansätze bestehen, vgl. Andrea Haller, Stefanie Plappert: The Exhibition Space as Cinematic Space: Film as Museum Object. In: Diego Cavallotti / Simone Dotto / Andrea Marian (Hgg.): Exposing the Moving Image. The Cinematic Medium Across World Fairs, Art Museums, and Cultural Exhibitions. Gorizia/Udine/Pordenone FilmForum 2018. S. 259 – 268. Siehe insbesondere die zugehörige Literaturliste.
[9] Dazu in einem kommenden Beitrag mehr!
[10] Henning Mohr, Diana Modarressi-Tehrani in: dies., a.a.O., S. 17.
[11] Ulrike Lorenz in Baur, a.a.O., S. 180
[12] Angelika Höckner und Gerald Moser in Baur, a.a.O., S. 32.
[13] ”Polylog”: Philosophischer Ansatz der von der Gleichwertigkeit unterschiedlicher Philosphien ausgeht, also konkret nicht die so genannte “westliche” oder “abendländische” als Universal und allgemein gültig versteht. Mehr siehe: Polylog – Wikipedia.
[14] Bratíc in Baur, a.a.O., S. 103. Eine Anspielung an den surrealistischen Grundlagentext Nadja von André Breton ist sicherlich nicht zufällig: Auch hier geht es um nicht weniger als eine allumfassende Erschütterung des Bekannten, Bestehenden.