Kinostart: Das Glücksrad

von Frauke Haß

Das Glücksrad

GUZEN TO SOZO, Japan 2021, R: Ryusuke Hamaguchi, 121 Min

 

Zwei beste Freundinnen sitzen nach der Arbeit im Taxi. Gumi erzählt Meiko von einem geschäftlichen Meeting, das sich unversehens zu einem 15-Stunden-Date mit einem Mann entwickelte – ein „magisches“ Erlebnis, das allerdings (noch) nicht in Sex mündete – wiewohl Gumi sichtlich verliebt ist. Sie mutmaßt, dass „Er“ auch deshalb noch zögerte, weil er sich nach dem Bruch mit seiner geliebten Ex-Freundin, die ihn betrog, schwer tut, Vertrauen zu schöpfen. Meiko ist sichtlich angetan von der Erzählung ihrer Freundin, die übers ganze Gesicht strahlt. Zugewandt hört sie ihr zu, fragt schelmisch nach und freut sich mit. Bis Gumi aus dem Taxi steigt, Meiko den Fahrer bittet, umzukehren, und in der City ein Geschäftshaus betritt. Dort stellt sie ihren Ex-Freund zur Rede, den sie unzweifelhaft als den „magischen“ Mann identifiziert hat. Sind die beiden immer noch in ihre Liebesbeziehung verstrickt?

Ryusuke Hamaguchi, der Regisseur des oscarprämierten DRIVE MY CAR (Japan 2021) legt mit GUTEN TO SOZO (Das Glücksrad, Japan 2021) einen Episodenfilm über drei (bis fünf) Frauen vor, die sich in einer zugespitzten Situation wiederfinden. Meiko muss entscheiden, ob sie ihren plötzlich wiedererwachten Gefühlen für ihren Ex-Freund den Vorzug vor der Loyalität zu ihrer Freundin gibt. Nao (Katsuki Mori) lässt sich zum Versuch überreden, ihren Professor zu verführen und muss dabei feststellen, dass dieser eine außergewöhnliche Persönlichkeit ist, die diese von Rachegelüsten getriebene Masche nicht verdient hat. Leider passiert ihr im Nachgang ein Missgeschick, dass zwei Lebensentwürfe zerstört. Und Natsuko (Fusako Urabe) will ihrer verflossenen großen Liebe endlich sagen, dass sie immer diese eine besondere Frau in ihrem Leben bleiben wird, auch wenn diese sich schließlich für eine heterosexuelle Beziehung entschieden hat. Ein peinliches Missverständnis führt am Ende dazu, dass sie zwar nicht ihre alte Liebe, aber eine neue Freundin findet.

Die scheinbar alltäglichen Krisensituationen der Frauen präsentieren die großartigen Schauspielerinnen mit einer Präsenz und Intensität, dass man ihnen stundenlang zuschauen möchte. Und so nah, wie die Kamera ihnen über weite Strecken kommt, müssen alle fünf harte mimische Arbeit leisten, um das Wechselspiel der Gefühle ihrer Figuren in hauchzarten Regungen wiederzugeben. Und das gelingt ihnen hervorragend. Kotone Furukawa als Meiko legt die ganze Verwirrung ihrer Emotionen in kaum zu sehende mimische Wandlungen ihrer Züge, die dabei jedoch eine gigantische Wirkung entfalten.

Beinahe unerträglich gut gibt auch Kiyohiko Shibukawa den Professor Segawa, der einer von ihm selbst geschriebenen Sexszene aus seinem soeben preisgekrönten Roman lauscht, die die Studentin Nao ihm in eindeutiger Verführungsabsicht vorliest. Stoisch, scheinbar ungerührt und doch nahezu greifbar bewegt hört er zu und beantwortet ihre zudringlichen Fragen in absurd erscheinender professoraler Manier. Dass ein Mann eine dermaßen von Sex aufgeladene Szene in scheinbarer Unschuld ins Gegenteil wendet, ohne unaufrichtig zu wirken – das hat man – behaupte ich – so noch nie gesehen.

Hamaguchi fängt dabei die aktuelle japanische Lebenswelt in starken Bildern ein, die dennoch nicht inszeniert wirken. Sein Film, der auf der Berlinale 2021 den Großen Preis der Jury gewann, ist pures – auch visuelles – Vergnügen, obwohl das thematisch nicht gerade naheliegt.