Filmblog // Mae West: ein Star, wie es keinen zuvor gegeben hat

Von Winfried Günther (Kino-Team, DFF)

Filmreihe im DFF im September 2022:

Es gehört zu den wenig wahrscheinlichen, aber höchst glücklichen Ereignissen der Filmgeschichte, dass 1932 eine füllige achtunddreißigjährige Frau nach Hollywood engagiert und auf Anhieb zu einem der größten Filmstars der 1930er Jahre wird – ein Star, wie es keinen zuvor gegeben hat.

Mae West (1893-1980) war da natürlich kein Neuling mehr: Geboren in New York, stand sie dort von Kindesbeinen an auf der Bühne, in Burlesque- und Vaudeville-Shows und schließlich am Broadway. Nachdem sie schon länger ihre Texte umgemodelt oder selbst verfasst hatte, begann sie Mitte der 1920er Jahre, sich ganze Theaterstücke auf den Leib zu schreiben. Bereits das erste davon, Sex, war 1926 ein Sensationserfolg; es brachte ihr eine Anklage wegen Obszönität und eine zehntägige Gefängnisstrafe ein. von der sie acht Tage absitzen musste. Auch ihr nächstes Stück, The Drag, war eine Pioniertat: Es beschäftigte sich mit dem Thema der Homosexualität, durfte aber deshalb in New York nicht gespielt werden. Einer ihrer größten Triumphe auf der Bühne wurde dagegen 1928 Diamond Lil.

Diese Erfolge waren verantwortlich für ihren Ruf nach Hollywood. Nicht sie hatte also auf den Film gewartet, sondern der Film auf sie. Selbstbewusst kommentierte sie das mit den Sätzen: „I’m not a little girl from a little town making good in a big town, I‘m a big girl from a big town making good in a little town.“ Wie nicht anders zu erwarten, geriet sie in Hollywood erst recht mit der Zensur in Konflikt, denn noch mehr als auf die Literatur oder das Theater konzentrierte diese sich auf das Kino (wie später auch aufs Radio und Fernsehen). Ihre interessantesten Filme sind mehrheitlich ihre frühen, bevor der neu installierte Production Code sich ab 1934 voll etablierte. Mae West hatte allerdings früh gelernt, dass man sich in Komödien mehr erlauben darf als im ernsten Fach. Von Anfang an setzte sie durch – auch das höchst ungewöhnlich in Hollywood –, dass sie ihre eigenen Dialoge und sogar ganze Drehbücher schreiben durfte. Der riesige Erfolg ihrer ersten Filme rettete das Paramount-Studio vor dem Ruin und gestatte es Mae West, für die nächsten Projekte höhere Gagen zu verlangen. 1935 war sie die bestbezahlte Frau der USA.

In all ihren Filmen spielte Mae West im wesentlichen nur eine Figur: sich selbst. Zumeist verkörperte sie das „bad girl“, aber nicht wie in unzähligen Melodramen zuvor als Opfer, sondern als Initiatorin der Ereignisse und Situationen. Sie strahlte dabei ein Selbstbewusstsein aus wie kein anderer weiblicher Hollywoodstar der 1930er Jahre. Sowie sie auf der Leinwand erschien, war sie das Zentrum der Aufmerksamkeit. Und auch hier kultivierte sie eine Art des Auftretens, die sie zuvor auf der Bühne perfektioniert hatte: langsame Bewegungen, einen rhythmischen, wiegenden Gang, ein direktes, frontales Adressieren des Publikums und nun der Kamera, eine anstrengungslose, aber reich modulierte Art des Sprechens und Singens. So wurde Mae West zum Sexsymbol, ohne wie so viele ihrer Nachfolgerinnen nackte Haut zu verkaufen; im Gegenteil blieb sie immer in üppige Kleider und extravagante Hutkreationen geradezu eingepackt. Ihre Überbetonung weiblicher Reize und Verhaltensweisen ironisierte immer auch soziale und moralische Einstellungen gegenüber dem Thema Sex und erinnert nicht zuletzt an homosexuelle männliche Frauendarsteller. Aus gutem Grund war Mae West immer ein Idol vieler Schwuler.

Anfang der 1940er Jahre zog sie sich vom Film zurück und widmete sich wieder der Bühne. Seit den 1960er Jahren wurde sie immer wieder neu entdeckt. Viele ihrer Sentenzen wurden legendär und gingen in die Folklore ein, etwa „It’s not the men in my life that counts, it’s the life in my men“ oder „It’s better to be looked over than overlooked” oder “When I’m good, I’m very, very good, but when I’m bad, I’m better” und nicht zuletzt der unsterbliche Satz aus dem Film I’M NO ANGEL von 1933: “Peel me a grape“.

Das Kino des DFF zeigte im September 2022 sieben ihrer besonders markanten Filme:

Do, 1.9., 18 Uhr | So, 3.9., 20:30 Uhr
NIGHT AFTER NIGHT
(US 1932, R: Archie Mayo)
Fr, 2.9., 18 Uhr| Mi, 7.9. 20:30 Uhr
I’M NO ANGEL  Ich bin kein Engel
(US 1933, R: Wesley Ruggles)
Di, 6.9., 20:30 Uhr | So, 11.9., 18 Uhr
SHE DONE HIM WRONG  Sie tat ihm unrecht
(US 1933, R: Lowell Sherman)
Fr, 9.9., 18 Uhr | Sa, 10.9., 20:30 Uhr
BELLE OF THE NINETIES  Die Schöne der neunziger Jahre
(US 1934, R: Leo McCarey)
Mi, 14.9., 20:30 Uhr | So, 18.9., 20:30 Uhr
GOIN‘ TO TOWN
(US 1935, R: Alexander Hall)
Do, 15.9., 18 Uhr | Sa, 17.9., 20:30 Uhr
MY LITTLE CHICKADEE  Mein kleiner Gockel
(US 1940, R: Edward F. Cline)
Fr, 16.9., 18 Uhr | Di, 20.9., 18 Uhr
KLONDIKE ANNIE
(US 1936, R: Raoul Walsh)