Filmblog // Ein Blick ins Programm des 24. goEast-Filmfestivals

Die 24. Ausgabe von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films findet von Mittwoch, 24., bis Dienstag, 30. April 2024, in Wiesbaden, Darmstadt, Gießen und Frankfurt statt. Im Wettbewerb blicken in diesem Jahr 16 Spiel- und Dokumentarfilme auf die großen Konflikte der Gegenwart, außerdem erwarten das Publikum das Symposium „Die ‚anderen‘ Queers“, ein Fokus zu den Filmländern Kosovo und Albanien sowie ein abwechslungsreiches Programm der „Yugoretten“, das die filmische Repräsentation von Frauen und queerer Kultur in den Vordergrund stellt. Kurz vor Festivalstart hat die DFF-Redaktion bereits einen Blick ins Festivalprogramm geworfen und von ihren Eindrücken geschrieben:

MADINA

Kasachstan/Pakistan/Indien 2023. R: Aizhan Kassymbek

Wettbewerb

Das aufgewühlte Meer, darüber eine graue Wolkendecke, durch die kein Sonnenstrahl bricht: So beginnt der kasachische Film MADINA. Seine gleichnamige Protagonistin lebt zusammen mit ihrer Großmutter, ihrem verschlossenen, jüngeren Bruder und ihrer zweijährigen Tochter in einer kleinen Wohnung. Um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern, gibt Madina tagsüber Tanzstunden und tanzt abends in Nachtclubs. Die Avancen des Nachbarn wehrt sie vorsichtig ab. Das Angebot eines reichen Bewunderers erscheint ihr dagegen in einem Moment der Not verlockend. Als sie eines Tages ein lange bewahrtes Geheimnis erfährt, findet sie den Mut, ihre Stimme zu erheben.

Immer wieder kehrt der Film zu den Bildern des aufgewühlten Meeres zurück. In ihnen spiegelt sich der Aufruhr im Inneren der Hauptfigur, die nach außen beherrscht, manchmal geradezu resigniert wirkt. Ein Lachen zeigt sich auf Madinas Gesicht nur im Spiel mit ihrer Tochter, auf die sich ihre Hoffnungen auf eine bessere Zukunft konzentrieren.

Der Film gibt einen Einblick in die Lebensrealität einer Frau und alleinerziehenden Mutter in einer Gesellschaft, deren patriarchale Strukturen immer wieder die Voraussetzungen für übergriffiges Verhalten schaffen. So verbindet er eine persönliche Geschichte mit einem breiteren, gesellschaftlichen Kontext. Er basiert auf den Lebensereignissen einer Freundin der Regisseurin: Madina Akylbek, die auch die Hauptrolle spielt. „My intent in making a film on Madina’s story was to share the vulnerability and insecurity she as a woman internalizes. How fear makes it difficult for her to express and share problems.”, sagte die Regisseurin, die MADINA mit einer nur aus Frauen bestehenden Crew drehte, in einem Interview mit dem Branchenblatt Variety. Das ist ihr gelungen.

(Naima Wagner)

Spieltermine

Wiesbaden, Caligari FilmBühne: Samstag, 27. April, 16 Uhr
Deutschlandpremiere

Wiesbaden, Apollo: Sonntag, 28. April, 20 Uhr

HAVE YOU SEEN THIS WOMAN?

Da Li Ste Videlo Ovu Ženu?
Serbien/Kroatien 2022. R: Dušan Zorić, Matija Gluščević

Yugoretten

Baustellenlärm vor einer Wohnsiedlung in Belgrad, die Kamera zoomt langsam an ein Fester heran: Dort steht ein Mann, der mitteilt, dass Draginja verschwunden ist. Er führt durch ihre leere Wohnung und erklärt, dass diese von ihren Verwandten bald schon neu vermietet werden wird. 

Draginja ist eine Frau mittleren Alters, die sich in ihrem Leben gefangen fühlt. Von der Gesellschaft wird sie nicht wirklich wahrgenommen, den Kontakt zu sich selbst hat sie verloren. In drei Akten sind drei verschiedene Leben von Draginja zu sehen. Im ersten Leben ist sie Staubsaugerverkäuferin. In der Wohnung einer Kundin findet sie deren toten Körper, der ihrem eigenen ähnelt. Wenig später kauf Draginja, gelangweilt vom alltäglichen Leben, Drogen in einem Club. Im zweiten Leben ist sie Kinderkrankenpflegerin, entführt ein Baby und stellt einen Schauspieler als Ehemann an, um vor ihren Freund:innen und ihrer Familie ein gewisses Ideal von Weiblichkeit zu verkörpern. Im dritten Leben flieht Draginja vor ihren Eltern, um ihre verlorenen Erinnerungen wiederzufinden. 

HAVE YOU SEEN THIS WOMAN? zeigt die Suche einer Frau nach sich selbst, ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche und ihr Bedauern. Der Film überzeugt stilistisch durch die Mischung aus einem an eine Folge AKTENZEICHEN XY … UNGELÖST erinnernden Anfang, die wie ein Spielfilm inszenierten Lebensgeschichten und das wie ein Heimvideo gedrehte Ende. Während die erste Hälfte des Films fesselnd und humorvoll erzählt ist, wird der Film gegen Ende immer absurder und verliert leider viel an Spannung. Das überzeugende Schauspiel von Hauptdarstellerin Ksenija Marinković sorgt dennoch dafür, dass man bis zum Ende dranbleibt. 

(Eileen Nann)

Spieltermine

Wiesbaden, Apollo: Donnerstag, 25. April, 16 Uhr
Mit Vorfilm: MOTHER PRAYS ALL DAY LONG (Madar Tamame Rooz Doa Mikhanad. DE 2022. R: Hoda Taheri)

SMILING GEORGIA

Deutschland/Georgien 2023. R: Luka Beradze

Wettbewerb

2012 hatte der damalige georgische Staatspräsident Micheil Saakashvili versprochen, die zahnmedizinische Versorgung des Landes zu verbessern und allen Georgier:innen, die sie benötigten, Zahnprothesen zu stellen – vorausgesetzt, er würde im Amt bestätigt. Viele alte Menschen vom Land ließen sich daraufhin in Vorbereitung auf den Eingriff die Zähne ziehen, doch Saakashvili verlor die Wahlen und das Programm wurde eingestellt. Ein Jahrzehnt später fristen viele von ihnen weiterhin zahnlos ihr Dasein. Etwa 400 Georgische Lari würden die Prothesen kosten, heißt es im Film. Umgerechnet sind das nur 140 Euro, doch viele Bäuerinnen und Bauern können sich selbst das nicht leisten. Während die einen ihre Situation mit Humor nehmen, sind andere wütend und fühlen sich von der Politik vergessen. Doch das Leben in Georgien geht weiter, denn neue Wahlen stehen an, bei denen sich neue Politiker profilieren möchten.

Die Beschreibung von SMILING GEORGIA im goEast-Programmheft als „absurdes Zeitdokument“ könnte nicht treffender sein: Zwischen langen Aufnahmen von im Schnee liegenden Zahnprothesen – eine passende Metapher für die im wahrsten Sinne des Wortes auf Eis gelegten Eingriffe – porträtiert Regisseur Luka Beradze in ruhigen Bildern die unterschiedlichen Rentner:innen eines Dorfes in ihrem Alltag. Jedoch bekommt ihre Zahnlosigkeit, die zu Beginn des Films noch skurril und lustig schien, durch den wachsenden Einblick in die Lebensverhältnisse in dieser ländlichen Region auch zunehmend eine tragische Note. Lohnt es sich noch, daran zu glauben, dass die Politik jemals etwas zur Verbesserung ihrer Umstände tun wird, oder bleiben die Menschen dort weiter auf sich allein gestellt?

(Katharina Popp)

Spieltermine

Wiesbaden, Caligari Filmbühne: Donnerstag, 25. April, 16 Uhr

Wiesbaden, Apollo: Freitag, 26. April, 18 Uhr