Maximilian Schell: Der Bruder

Die Vorwürfe, die derzeit gegen Maximilian Schell erhoben werden, nimmt das DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum sehr ernst. Sie stellen die Person, mit deren Werk die Institution sich über Jahre auseinandergesetzt hat – unter anderem in einer umfassenden Sonderausstellung und Publikation, in diversen Filmprogrammen und nicht zuletzt in der Verwahrung des künstlerischen Nachlasses – in ein anderes Licht. Wir lehnen jede Form von sexueller und sexualisierter Gewalt entschieden ab und solidarisieren uns mit ihren Opfern.

Eine Loslösung der Person des Künstlers von seinem Werk kann derartige Vorwürfe, wie sie im Raum stehen, keinesfalls entschärfen. Im Umgang mit unseren Sammlungen und Exponaten bedeutet das, sich respektvoll gegenüber den Betroffenen zu positionieren, gleichzeitig aber keine Zensur vorzunehmen. Auch die Auseinandersetzung mit umstrittenen Aspekten im Lebenslauf berühmter Persönlichkeiten, deren Werke ihren Platz im filmkulturellen Erbe eingenommen haben, gehört zu den Aufgaben unserer Institution.

Nachdem die Stadt Frankfurt die Schließung der Museen in der Stadt noch mal bis zum 19. April verlängert hat, ist es ungewiss, ob, und wenn, wie lange Besucher/innen die Maximilian-Schell-Ausstellung vielleicht noch einmal besuchen können, die ursprünglich nur bis zum 19. April 2020 geplant war. Der Katalog „Maximilian Schell“ bietet reichlich Lesestoff und Augenschmaus, um sich bis zur Klärung dieser coronabedingten Fragen die Wartezeit zu vertreiben. Der 320 Seiten starke Band untersucht die Karriere Maximilian Schells von allen Seiten: 17 Autor/innen beleuchten Schells große Schauspielkunst, sein Wirken in Hollywood, geben Einblicke hinter die Kulissen, in seine Art zu arbeiten, befassen sich mit dem kundigen Kunstsammler Schell, dem Regisseur Schell, mit seiner großen Liebe für Shakespeare, seinen Auftritten als Gaststar in Hollywood-Blockbustern der 90er Jahre, mit seinem Dokumentarfilm MEINE SCHWESTER MARIA und natürlich mit dem überaus erfolgreichen Krisenprojekt MARLENE. Dokumente aus dem künstlerischen Nachlass Schells stehen neben ausdruckstarken Fotografien und illustrieren die Beiträge von und über den Oscarpreisträger. In einer kleinen Filmblog-Reihe stellen wir stark gekürzte Auszugtexte aus dem Katalog vor:

Der Bruder

Von Eva Maria Magel

Maximilian Schell war der besondere Liebling seines Vaters, Hermann Ferdinand Schell – und dessen Augenstern. Das älteste Kind hingegen, Maria, scheint ein halbes Leben lang um die Anerkennung und Liebe des Vaters gekämpft zu haben. Zwar sind alle vier Kinder Schell, Maria, Maximilian, Carl (1927–2019) und Immaculata  „Immy“ (1935–1992), Schauspieler geworden. Nur zwei aber haben das geschafft, was man eine Weltkarriere nennt (…).

Die Filmkarriere von Maria Schell begann 1948, war kometenhaft, erlebte einige Knicke im Vergleich zu derjenigen des Oscarpreisträgers und vielfach ausgezeichneten Maximilian, der 1955 vom Theater ins Filmgeschäft kam. Beide bewegten sich auf dem internationalen Parkett zwischen Stars, berühmten Künstlern, Politikern. Dennoch war sie zu Beginn die Berühmtere, vor allem in der deutschsprachigen Presse, die sogar, als Maximilian für seine Rolle in JUDGMENT AT NUREMBERG (US 1961, R: Stanley Kramer) als bester Schauspieler ausgezeichnet wurde, titelte: »Kleiner Bruder von Maria Schell gewinnt Oscar«. Beide kamen reichlich vor in der Regenbogenpresse, Maria zumal, die früher anfing, Filme zu drehen, bis zu ihrem Lebensende, mit zahlreichen privaten Enthüllungen. (…)

Obgleich Maria gern die Anekdote erzählte, sie habe sich, damals erst drei, vier Jahre alt, den kleinen Bruder mit Hilfe eines Einsiedlers herbeigewünscht, scheint die besonders enge Beziehung der beiden erst gewachsen zu sein. Wir waren vier betitelte Maria Schell schon 1995 das Kapitel ihrer Erinnerungen, das sie den Geschwistern widmet, aber vor allem einem, Maximilian. (…) Maria Schell schrieb damals (…): „Männer kommen und gehen. Einen Bruder verliert man nicht.“ Was in ihrem Fall vor allem für Maximilian gilt. Sie beschreibt, wie sie, ganz jung, nach langer Briefpause schriftlich beschwört, wie lieb sie ihn habe. Die Antwort des Bruders: Wenn man jemanden liebe, müsse man auch etwas dafür tun.

Das Tun hat, zumal in den späten Jahren, der ›kleine Bruder‹ übernommen, der bis dahin zu einer Art großem Bruder geworden war, vor allem in den Lebensstürmen der Schwester. „Maximilian war da. Wie immer“, schreibt Maria Schell in ihren Erinnerungen. 2002 hat er ihr mit MEINE SCHWESTER MARIA (DE/AT/CH 2001/02) ein filmisches Denkmal gesetzt, das die Weltkarriere der Schwester, ihre zunehmende Demenz und ihre Rolle als Schwester gleichermaßen würdigten. Die schauspielerischen Leistungen ihrer frühen internationalen Karriere lobte er im Nachhinein rundheraus,(…). „Sie war sehr beeindruckend – soweit man das von einer Schwester sagen kann.“

Stark gekürzter Auszug aus dem Beitrag zum Begleitband zur Ausstellung: „Königskinder – Der ,kleine Bruder von Maria Schell‘ – eine Geschwistergeschichte“

39,80 Euro
Deutsch: ISBN 978-3-88799-105-0
Englisch: ISBN 978-3-88799-110-4