Lehrt uns Demut: SCHULEN DIESER WELT

Von Frauke Haß

Sandrine Zongo hat eine Mission: Als junge Lehrerin will sie dazu beitragen, dass die Kinder ihres Landes lesen, schreiben und rechnen lernen. Und zwar möglichst viele Kinder, nicht nur jene, die das Glück haben, in einer Stadt aufzuwachsen. Junge Lehrer:innen in Burkina Faso dürfen sich allerdings nicht aussuchen, wo sie hingeschickt werden. Als sich Sandrine in Emilie Théronds Film SCHULEN DIESER WELT dann in der Hauptstadt Ouagadougou auf den Weg macht, ist es ein trauriger Abschied. Denn monatelang wird sie ihre kleinen Kinder nicht wiedersehen. Zu weit ist ihre neue Schule im Bezirk Bouroum-Bouroum entfernt.

Am Ziel ist die Ernüchterung groß: Der Klassenraum ist bloß ein überdachter Freiplatz auf sandiger Fläche. Ihre eigene Behausung ein unmöblierter Betonkubus gleich daneben. Hier ist sie ganz allein, das Dorf bleibt auf Abstand. Und natürlich fällt ständig das Internet aus. Sechs Jahre wird Sandrine an diesem abgelegenen Ort bleiben, ihre Kinder viele Monate im Jahr vermissen und gleichzeitig anderen Kindern etwas beibringen.

Svetlana Vassilevas Arbeitsplatz könnte gegensätzlicher nicht sein. Statt mit Hitze, Staub und Fliegen plagt sie sich in Ostsibirien mit Eis und Schnee herum. Bis zu 150 km fährt sie auf ihrem Rentierschlitten mit ihrer Nomadenschule zu ihren Schützlingen – Kindern der nomadisch lebenden Ewenken, die sie in ihren Camps aufsucht, um für sie eine elementare Bildungsbasis zu legen: lesen, schreiben, rechnen und die Fähigkeit, die Sprache der eigenen Volksgruppe, das Ewenkische zu lesen und zu sprechen.

Svetlanas Leben ist hart. Nachdem sie stundenlang durch Eis und Schnee gefahren ist, muss sie auch noch ihre Jurte aufbauen, den Ofen anschließen und einheizen, damit das Schul“haus“ am nächsten Morgen bereitsteht. Auch sie hat Töchter, die sie sehr vermisst, auch wenn diese schon „groß“ und in der städtischen Schule sind. Sie selbst musste als Kind die Familie verlassen, um in der Stadt in die Schule zu gehen. Diesen Schmerz möchte sie ihren Schützlingen ersparen.

Etwas lernen, eine Ausbildung machen und unabhängig sein: Dieses Ziel will auch Taslima Akter in Sunamganj in Bangladesh erreichen. Im Blick hat sie da vor allem die Mädchen, die für sich selbst entscheiden sollen, wie sie ihr Leben verbringen. „Frauen sollten das Gleiche tun dürfen wie Männer“, sagt Taslima. Realität ist das in ihrem Alltag noch lange nicht. Viele junge Mädchen werden verheiratet, lange bevor sie eine Schulbildung und damit die Chance zur Unabhängigkeit erhalten haben. Deshalb fährt Taslima täglich mit ihrer Bootsschule im überschwemmten Sunamganj von Haus zu Haus, um ihre Schüler:innen einzusammeln. Beharrlich macht sie ihnen klar, wie wichtig Bildung sei, motiviert die Begabtesten für die Prüfungen und debattiert mit zögerlichen Eltern. Zur Not spendiert sie auch mal eine Schuluniform, wenn der Schulbesuch droht, daran zu scheitern.

Drei Lehrer:innen, drei Geschichten: Schlaglichter nur von einem Schulleben im Extrem. Drei engagierte Frauen, die persönliche Opfer bringen, um Kinder etwas zu lehren. Ganz unverbunden stehen diese drei Entwürfe in Théronds Film nebeneinander, der wenig darüber erzählt, wie diese drei Frauen wirklich leben. Dafür geht er zu wenig in die Tiefe, was schade ist, denn man hätte gern erfahren, was sie – auch in dunkleren Stunden – empfinden. So öffnet der Film lediglich ein Fenster und erlaubt einen kurzen Blick in fremde (Schul-)Welten. Der Blick lohnt und lehrt uns Demut.

 

SCHULEN DIESER WELT (Profs du bout du monde, FR 2021, R: Emilie Thérond)
Dt. Kinostart: 27. April 2023

 

Dieser Text erschien erstmals in e&w 04/2023: bit.ly/3Ati7Gs

 

Bildunterschriften:
Taslima Akter auf dem Schulboot in Bangladesch © winds_X Verleih
Sandrine Zongo mit Schülerin an der Tafel in Burkina Faso © winds X Verleih
Svetlana Vassileva mit Schüler in Sibirien © winds_X Verleih