Sushi und Sandwiches

Wenn es um das Thema Essen im Film geht, ist die Rede meist von Filmen wie LA GRANDE BOUFFE (FR/IT 1973, R: Marco Ferreri), EAT DRINK MAN WOMAN (TW/US 1994, R: Ang Lee) oder BIG NIGHT (US 1996, R: Campbell Scott, Stanley Tucci) – alle bekannte Beispiele des kulinarischen Kinos. Die Beschaffung und Verarbeitung von Lebensmitteln sowie die Zubereitung und der Genuss von Speisen sind nicht nur Nebensache in diesen Filmen – das Essen ist ein Protagonist, genauso wie die Stadt New York in SEX AND THE CITY den Platz des fünften Protagonisten einnimmt.

In andere Filmen ist Essen höchstens ein „Sidekick“. Wer würde schon behaupten, dass die Festmahle in HARRY POTTER AND THE PHILOSOPHER‘S STONE (GB 2001, R: Chris Columbus) mehr als ein Gimmick sind oder dass das Mittagessen in THE BREAKFAST CLUB (US 1985) besonders wichtig sei? Doch gerade in jenen Filmen, die sich nicht hauptsächlich mit dem Essen beschäftigen, entfaltet dieses Thema ungeahntes Potential! Wer sich genauer mit der Inszenierung einer Mahlzeit beschäftigt, wird feststellen, wie viel sie aussagen kann.

Sie kann der Erzählung dienen, indem sie eine Gruppe von Charakteren zusammenbringt. Dabei kann die Wahl des Essens und der Köchin/des Kochs genauso Aussagen über Charaktere machen wie die Inszenierung der Essenszubereitung; zum Beispiel über die soziale Schicht, der eine Figur angehört, ihre finanzielle Situation, ihre Herkunft oder ihre Beziehung zu anderen Figuren. Die Wahl der Lokalität oder des Esstischs kann etwa Distanz ebenso vermitteln wie Nähe und Intimität. Ja, sogar Emotionen und Gemütszustände können aus der Zubereitung und Wahl der Lebensmittel gelesen werden.

Nehmen wir das Beispiel BREAKFAST CLUB (US 1985). Hier lassen sich die Mittagessen der Protagonist/innen eindeutig analysieren: Claire (Molly Ringwald), die schöne und reiche Schülerin, isst eine kleine Portion Sushi aus einer edlen schwarzen Box, komplettiert durch Sojasauce. Luxus und gleichzeitige Selbstbeherrschung für die Prinzessin, deren Essen sicher nicht von ihrer distanzierten Familie zubereitet wurde.

Andrew (Emilio Estevez) hingegen isst sich methodisch durch Sandwiches, Schokoladenkekse, Chips, einen Apfel und eine Banane und hat noch dazu einen ganzen Liter Milch im Gepäck – Kalorienmasse für den Muskelprotz, der wie sein Vater nur an seine sportliche Karriere denkt.

Brian (Anthony Michael Hall), der Schlaukopf, bekommt sein Mittagessen von seiner Mutter eingepackt – nichts lässt ihn so überbehütet wirken, wie das Erdnussbutter-Sandwich ohne Kruste, das durch Suppe und Apfelsaft ergänzt wird.

Das hilft ihm eher weniger gegen Bender (Judd Nelson), den Freak, der gar kein eigenes Essen dabei hat und dem Muttersöhnchen sein Sandwich klaut – klarer Beleg seiner kriminellen Energie.

Allison (Ally Sheedy) schließlich, die Ausgeflippte, begnügt sich mit einer dubiosen Sandwich-Kreation aus Weißbrot, Brausepulver und Cornflakes. Wohlgemerkt erst, nachdem sie eine Scheibe Aufschnitt vom Brot gezogen und wegschmissen hat. Damit zeigt sie, dass das Sandwich ursprünglich von jemand anderem für sie gemacht wurde und sie gegen diese Person rebelliert.

Als kleines Extra bekommen die Zuschauer/innen noch den einsamen Lehrer Mr. Vernon beim Essen zu sehen: Er verschüttet seinen Kaffee über einem Sandwich, einer Gewürzgurke und einer Orange. „Instant Karma“ für sein Verhalten gegenüber den Schülern? Eine fragwürdige Mischung für einen fragwürdigen Charakter allemal.

Alle Stereotypen, die die fünf Teenager verkörpern, werden also durch das Essen gefestigt – eines verbindet sie: alle haben Coca-Cola-Dosen vor sich. Das gemeinsame Mittagessen trägt im Film dazu bei, die gravierenden Unterschiede zwischen den fünf Schüler/innen darzustellen. Gleichzeitig ist es auch der Ausgangspunkt für die gemeinsame Rebellion gegen die Regeln des Nachsitzens und den Ausbruch aus den festgefahrenen sozialen Strukturen insgesamt – und ist somit immens wichtig für den Film. Und auch, wenn die Cola-Dosen womöglich hauptsächlich als „Product Placement“ dienen, vereint sie die Protagonist/innen als universelles Genussmittel außerhalb von sozialen Schichten und Stereotypen.

“Dear Mr. Vernon, we accept the fact that we had to sacrifice a whole Saturday in detention for whatever it was we did wrong. But we think you’re crazy to make us write an essay telling you who we think we are. You see us as you want to see us – in the simplest terms, in the most convenient definitions. But what we found out is that each one of us is a brain, and an athlete, and a basket case, a princess, and a criminal. Does that answer your question? Sincerely yours, the Breakfast Club.”

Titelbild: LA GRANDE BOUFFE (FR/IT 1973, R: Marco Ferreri)

Von Laura Albermann

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