Popcorn-Kino mit Zuckerguss: TOD AUF DEM NIL mit Star-Ensemble

von Frauke Haß

Wer sich auf zwei Stunden Popcorn-Kino gefreut hat, wird in den ersten Minuten von TOD AUF DEM NIL (US 2022, R: Kenneth Branagh) erst einmal unbarmherzig aus der Komfortzone gerissen. Regisseur Branagh schockiert mit längst ikonisch gewordenen Bildern abgebrannter Wälder, die die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs hinterlassen haben, und erfindet (?) eine ebenso einfache Erklärung für den grotesken Schnurrbart Poirots wie für sein lebenslanges Single-Dasein.

Poirots penetrantes Zwangshandeln, die aberwitzige Neigung zur perfekten Attitüde werden damit gleich zu Beginn im Allzumenschlichen begründet und die Herzen der Kinobesucher:innen – nun ja, fliegen dem Helden vielleicht nicht gerade zu, aber erwärmen sich doch ein wenig.

Nach dem düster-melancholischen Prolog wirft die Disney-Produktion dann den ästhetischen Zuckerguss-Turbo an: Traumhaft überzeichnete Totalen des Nil mit aufflatterndem Gefieder, rasend schnell zuschnappenden Krokodilen, in Blutorangenrot getauchten Sonnenuntergängen, idyllisch dümpelnden Fischerbötchen, einem märchenhaft ans Nilufer gepuderten Old Cataract Hotel in Assuan und majestätisch aufragendem Tempel von Abu Simbel: Wer seine Augen an Schauwerten laben will, kommt nicht zu kurz. Voraussetzung ist eine gewisse Neigung zum Zuviel: zuviel Farbe, zuviel Pracht, zuviel Schön, alles übrigens gedreht auf 65mm-Film.

Aber wir wollen nicht meckern: Der Film macht Spaß und wer das Buch oder dessen John-Guillermin-Verfilmung von 1978 nicht kennt, fiebert mit und denkt angestrengt nach, wer es denn jetzt wie genau gemacht hat, und denkt dabei keine Sekunde an die leichte Überlänge des Films, der obendrein mit einem sensationellen Ensemble aufwartet. Branagh gab den nervtötend französisiert Englisch sprechenden Belgier Poirot bereits 2017 in seiner Neuverfilmung des MORD IM ORIENT-EXPRESS und wandert so wahrhaftig entlang der Spuren Sir Peter Ustinovs, der mehrfach in die Rolle des Meisterdetektivs schlüpfte. Einen eindringlichen Auftritt legt Annette Bening hin, die als überstrenge, selbstverliebte Mutter eines sympathischen, aber – aus Sicht der Mutter – in die falsche Frau verliebten Hallodri brilliert.

Wer anderen Leuten gerne beim orgiastischen Feiern à la BABYLON BERLIN zuschaut, erfreut sich am als Paartanz getarnten sexuellen (Vor-)spiel von Emma Mackey als Jackie de Bellefort und Armie Hammer als Simon Doyle. Danach nimmt das Übel dann seinen Lauf, das hier in einem Bluesschuppen in London beginnt und auf einem Luxusdampfer im Nil seine kriminelle Entfaltung erhält, die der nicht zufällig anwesende Hercule Poirot dann angesichts zahlreicher Toter nur unter Tränen zur Auflösung bringt. Mehr sei hier nicht verraten, sonst macht es ja keinen Spaß mehr.

TOD AUF DEM NIL startet am heutigen Donnerstag, 10. Februar 2022, in den deutschen Kinos.

Titelbild: The Walt Disney Company