Kulinarischer Dilettantismus. Eine Entdeckung.

Von Anna Maria Pahlke

Wahrscheinlich ist es in einer so seltsamen Zeit wie dieser wichtig, sich mit seltsamen Dingen zu beschäftigen. Oder vielleicht ist es wichtig, gerade jetzt, wo Dinge improvisiert werden müssen und es leichter akzeptiert wird, wenn sie nicht perfekt sind, das Unvollkommene näher zu betrachten und entsprechend zu würdigen. Mal sehen.

Gerade schreibe ich an meiner Abschlussarbeit über Dilettantismus im Film und sehe überall Verbindungen. Da gibt es eine ganz subjektive Entdeckung, die mir in jüngster Zeit immer wieder untergekommen ist: der Römertopf!

Er ist sicher mehr oder weniger bekannt als dieses Kochutensil aus Ton, das man wässern muss. In dem werden dann alle Zutaten eines Rezepts zusammengeworfen und im Ofen dampfend gegart. Von Leuten, denen ich meine Forschungen anvertraut habe, kamen Erinnerungen an Gerichte aus der Kindheit, die in einem Römertopf zubereitet wurden und die gar nicht so schlecht gewesen zu sein scheinen. Damals, in den 1970er Jahren. Der Römertopf als Symbolbild der Bundesrepublik dieser bestimmten Zeit?

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Das lässt sich wirklich gut in SOMMER DER LIEBE (DE 1992) von Wenzel Storch beobachten. Da ist er auch schon fällig, der Begriff des Dilettantismus, des Trash. In diesem auf Super 8 gedrehten Film wandelt in den 70er Jahren der Hippie-Messias Oleander durch eine aus ehemaligem Sperrmüll zusammengebaute, psychedelische Zwischenwelt, hat Anhänger, zu denen „Langhaarige“ und Nonnen gehören, gibt weise Sinnsprüche von sich und ist Leit- und Vorbild für alle, die ihn brauchen.

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Oleander, gespielt von Jürgen Höhne, dem anmutigsten Schauspieler der Welt, gibt vor seinem vermeintlichen Tod zum Ende des Films sogar seine wahre Identität preis: Er ist eigentlich Conny Kramer. Nach dieser Enthüllung soll Oleander in einem übergroßen Römertopf beerdigt werden. Der aus Pappmaché zusammengebaute Topf ist leider zu klein, weshalb Oleander von zwei Bestattern kurzerhand die Beine abgesägt werden. Es folgt eine minutenlange Fete mit viel Kunstblut aus Schläuchen. Doch, so viel sei zur Beruhigung gesagt, Oleander überlebt!

Natürlich war ich nach dieser cineastischen Entdeckung sofort angefixt und wollte unbedingt auch einmal ein Römertopf-Gericht kochen. Verständlich, nicht wahr? Etwa zwei Wochen nach dem Beginn meiner Obsession hat mir meine Mitbewohnerin dann auch endlich einen geschenkt. Jetzt ist jede Woche einmal Römertopf-Tag!

Nun fehlt nur noch das richtige Rezept. Eines, das keinen Conny Kramer als Einlage verlangt. Nichts leichter als das! Einen Rat weiß die Kochsendung „Alfredissimo“, in der prominente Gäste mitgebrachte Rezepte zubereiteten und nebenbei mit Alfred Biolek in seiner Studioküche plauderten. In einer Folge von 2002 kocht niemand anderes als Christoph Schlingensief, tatsächlich, ein Gericht in einem Römertopf! Schlingensief tut in dieser Sendung das, was er in vielen Interviewsituationen tut – es lässt sich nicht genau beschreiben, doch er und Biolek unterhalten sich auch über typische Speisen der 70er Jahre.

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Wissenschaftlichen Erforschungen des Römertopfes kommt diese Sendung natürlich sehr gelegen, kulinarischen erst recht! Selbstverständlich habe ich das Rezept schon einmal nachgekocht. Es ist seltsam. Aber gut. Trash at its best.