A Midsummer Night’s Stream: Shakespeare-Filme entdecken und die Pest dabei vergessen

von Michael Kinzer

„To be, or not to be: that is the question“ – „Romeo, Romeo! Wherefore art thou Romeo?“ – „A horse! A horse! My Kingdom for a horse!“ Selbst wer der englischen Sprache nicht mächtig ist, hat diese Worte vermutlich schon mal gehört oder gelesen. Sie alle stammen aus der Feder des wohl größten englischen Dichters aller Zeiten: William Shakespeare. Dessen Geburtstag ist zwar nicht überliefert, wird aber häufig auf den 23. April 1564 datiert, und auch sein Todestag fällt auf ebendieses Datum (1616), weswegen die Vereinten Nationen es zum English Language Day auserkoren hat.

Ob Tragödien wie die von Hamlet und Romeo and Juliet, Komödien wie Much ado about Nothing und A Midsummer Night’s Dream, oder historische Stücke über die königlichen Ränkespiele der diversen Richards und Henrys – auch 500 Jahre später haben Shakespeares Dramen nichts von ihrer Aussagekraft und ihrem Unterhaltungswert verloren, weswegen sie immer wieder auf die Spielpläne der Theater gesetzt werden und garantierte Publikumsmagnete sind.

Nun haben die Theater dieser Welt aber gerade alle geschlossen. Der Corona-Virus hat wie die Pest zu Shakespeares Lebzeiten das kulturelle Leben zum Erliegen gebracht. Und auch wenn Shakespeare durch die Pest-Quarantäne angeblich zu kreativen Höchstleistungen angeregt wurde, und währenddessen Meilensteine wie King Lear schuf, so hat Corona die für die große Bühne gedachten Meisterwerke an einen eher unzureichenden Ort verbannt: das heimische Wohnzimmer.

Besser so als gar nicht, denken sich zahlreiche Theater und bieten die Möglichkeit, aufgenommene Inszenierungen per Stream anzuschauen. Zwar sind Aufzeichnungen in Shakespeare’s Globe (dem Nachbau des Globe Theatre, in dem im 17. Jahrhundert Shakespeares Stücke zum ersten Mal einem Publikum vorgeführt wurden), oder die von der Royal Shakespeare Company bild- und tontechnisch auf höchstem Niveau, doch selbst in der Spitzenklasse bleibt abgefilmtes Theater immer nur abgefilmtes Theater.

Für Film- und Serienaffine ist es daher vermutlich spannender zu schauen, wie die poetischen Verse und komplexen Plot-Konstruktionen des Barden in ein anderes Medium übertragen wurden. Mit über 400 Film- und TV-Adaptionen in Spielfilmlänge ist Shakespeare der am meisten verfilmte Autor aller Zeiten. Schrieben die Zeitungen beim gewaltsamen irischen Osteraufstand in 1916 noch „Stay home and read Shakespeare!“, was nach wie vor eine gute Idee ist, so könnte die Devise zu Corona-Zeiten lauten: „Stay home and watch Shakespeare!“

Auch wenn Shakespeare in die meisten Sprachen dieser Welt übersetzt wurde und die internationalen Adaptionen von Bollywood-Musicals bis Spaghetti-Western reichen, so ist seine ursprüngliche Wortwahl – bei der einzelne Satzzeichen wissenschaftliche Abhandlungen hervorgebracht haben – doch von einer ganz eigenen Poesie, die sich nur in der englischen Originalsprache entfalten kann. Das fand übrigens auch Maximilian Schell, der den HAMLET mehrfach in deutscher Sprache verkörpert hat. Mehr über seine Interpretation(en) des Prinzen von Dänemark erfährt man in unserer aktuellen Sonderausstellung und im umfangreichen Katalog.

Shakespeare-Verfilmungen sind fast so alt wie das Medium Film selbst, die älteste bekannte Adaption stammt aus dem Jahr 1899 und zeigt vier kurze, stumme Szenen aus Herbert Beerbohm Trees Bühnenproduktion von King John. Als die bewegten Bilder allmählich ihren Status als Jahrmarktsattraktion verloren und die Ambitionen zunahmen, Film als Kunstform zu etablieren, wurden Shakespeares Stücke zu einer beliebten Materialquelle. Die Verfilmungen wurden länger und bestanden nicht mehr nur aus Tableaus einzelner zentraler Szenen. Die erste Adaption in Spielfilmlänge – und eine der allerersten US-Produktionen in Spielfilmlänge überhaupt – war RICHARD III. (FR/US 1912), co-produziert von der französischen Firma Film d’Art, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, mit dem Rückgriff auf Stoffe aus Theater und Literatur dem damals zweifelhaften Ruf des Mediums Film entgegenzuwirken.

Das meist-adaptierte Shakespeare-Stück in der Stummfilmzeit war jedoch Hamlet, von dem angeblich über 40 Versionen hergestellt wurden, die meisten davon gelten als verschollen. Interessanterweise stammt die vielleicht aufregendste Adaption gerade nicht aus Großbritannien, den USA oder Frankreich, sondern aus Deutschland. In Svend Gades und Heinz Schalls Film ist HAMLET (DE 1921) eine Frau und wird von der Dänin Asta Nielsen verkörpert, was für damalige Verhältnisse bemerkenswert war.

Ende der 1920er Jahre kamen die ersten Tonfilme auf den Markt. Monologe und Dialoge wurden nicht länger als Zwischentitel eingeblendet und Shakespeares Sprache konnte endlich auch auf der großen Leinwand hörbar gemacht werden. So rückte der Originaltext wieder in den Fokus und britische sowie amerikanische Adaptionen übernahmen die Vorherrschaft über das filmische Erbe Shakespeares. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert.

THE TAMING OF THE SHREW (US 1929) war die erste Tonfilmadaption eines Shakespeare-Stückes. Douglas Fairbanks versucht darin, die widerspenstige Mary Pickford zu zähmen (was rückblickend eine ironische Doppeldeutigkeit hat, stand die Ehe der beiden Stars ohnehin schon kurz vor dem Aus).  Unter der Co-Regie von Theaterikone Max Reinhardt und William Dieterle entstand bald darauf ein erster Klassiker unter den Shakespeare-Verfilmungen: A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM (US 1935). Das ausgelassene Spiel des gerade mal 14-jährigen Mickey Rooney als Puck und James Cagney als Bottom, ein fantastisches Szenenbild sowie eine wunderbare Musik von Erich Maria Korngold machen den Film auch heute noch zu einem großen Vergnügen. Ein Jahr später kam ROMEO AND JULIET (US 1936) heraus, produziert von Irving G. Thalberg, der den Film vor allem als prestigeträchtiges Vehikel für seine Ehefrau Norma Shearer vorgesehen hatte. Mit 36 Jahren war Shearer eigentlich viel zu alt für die Juliet, vom 44-jährigen Leslie Howard als Romeo ganz zu Schweigen. Dennoch wurde sie für den Oscar® nominiert, und die Produktion ging als Bester Film ins Rennen.

Dennoch wurde Shakespeare in Hollywood als nicht kassentauglich angesehen. Das sollte sich erst zehn Jahre später ändern, als der Brite Laurence Olivier den Amerikaner/innen zeigte, wie man mit dem Barden die Massen in das Kino lockt: Als er Ende des Zweiten Weltkriegs zum moralischen Aufbau der britischen Truppen HENRY V (GB 1944) in Technicolor und mit einer spektakulären Schlacht von Agincourt auf die große Leinwand brachte, stieß er bei Publikum und Kritik gleichermaßen auf Begeisterung. Den Erfolg konnte er zwei Jahre später noch toppen, als seine düstere HAMLET (GB 1948)-Adaption als erste britische Produktion überhaupt mit dem Oscar® als Bester Film ausgezeichnet wurde, und er selbst als Bester Schauspieler. Der Film ließ alle bisherigen Shakespeare-Adaptionen verblassen.

1955 inszenierte sich Olivier dann noch einmal selbst als buckelig-böser RICHARD III, doch an den Erfolg seiner beiden phänomenalen Vorgänger konnte er damit nicht mehr anschließen. Der Publikumsgeschmack hatte sich schon wieder gewandelt, das Fernsehen entwickelte sich zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten für das Kino, was die Filmstudios dazu bewegte, immer größere und teurere Spektakel zu produzieren. Bezeichnenderweise war es gerade die Fernsehausstrahlung von RICHARD III ein Jahr nach dessen Kinoauswertung, die Rekorde in den USA brach: geschätzte 25 bis 40 Millionen Zuschauer/innen schauten sich den Film am Sonntagnachmittag auf NBC an, weswegen das British Film Institute retrospektiv verlauten ließ, dass der Film vermutlich mehr zur Popularisierung Shakespeares beigetragen hat als irgendein anderes Werk. Und während in den darauffolgenden Jahrzehnten eine Shakespeare-Adaption nach der anderen auf die britischen und amerikanischen TV-Bildschirme drängte, verlor das Werk des Autors für das Kino an Bedeutung. Olivier selbst erhielt: für die angedachte Adaption von MACBETH Ende der 1950er Jahre schon nicht mehr die nötige Finanzierung.

Vor einem ganz ähnlichen Problem hatte zehn Jahre zuvor bereits ein anderer Autorenfilmer gestanden, der wie Olivier von der Bühne zum Film gekommen war und dessen Schaffen immer eng mit Shakespeare verknüpft sein sollte: Orson Welles. Dank des Erfolges von Oliviers HENRY V konnte Welles immerhin ein Low Budget zusammenstellen, um in nur 23 Tagen in B-Movie-Set-Überbleibseln seinen MACBETH (US 1948) zu drehen. Der rohe, experimentelle Stil des Films und die Tatsache, dass die Schauspieler/innen mit starkem schottischen Akzent sprachen, ließen den Film bei der Kritik durchfallen, vor allem im Vergleich zum zeitgleich erscheinenden HAMLET von Olivier. Auch Welles’ nächste Adaption OTHELLO (IT/US 1951) entstand unter schwierigsten Bedingungen über einen Zeitraum von 3 Jahren hinweg. Als der italienische Produzent seinen Bankrott verkündete, steckte Welles fortan sein eigenes Geld in den Film, u.a. seine Gage für THE THIRD MAN (GB 1949). Trotz des Hauptpreises beim Filmfestival in Cannes fand der Film keinen amerikanischen Verleih und ging an den Kinokassen unter. In den 1960er Jahren wagte sich Welles noch einmal an Shakespeare und widmete seiner Lieblingsfigur und Traumrolle Sir John Falstaff den Film CHIMES AT MIDNIGHT (CH/ES 1965) mit Textpassagen aus fünf verschiedenen Stücken. Welles bezeichnete ihn rückblickend als seinen Lieblingsfilm, ein Erfolg wurde er trotzdem nicht.

Nur drei Verfilmungen konnten in den 20 Jahren nach Laurence Oliviers Oscar®-Triumph an der Kinokasse reüssieren: JULIUS CAESAR (US 1953), der mit einer ausgezeichneten Regie von Joseph L. Mankiewicz und dem Star-Appeal von Marlon Brando punkten konnte; sowie die beiden Filme, die Franco Zeffirelli in seiner Heimat Italien mit internationaler Besetzung drehte: THE TAMING OF THE SHREW (IT/US 1967) mit dem Schlagzeilen-Paar Elizabeth Taylor und Richard Burton, und ROMEO AND JULIET (GB/IT 1968), der mit dem 17-jährigen Leonard Whiting und der 15-jährigen Olivia Hussey in den Hauptrollen nicht nur dem Alter seiner Protagonisten gerecht wurde, sondern eine entstaubte, massentaugliche Umsetzung der Liebesgeschichte inklusive Nacktszene bot. Jahrzehntelang sollte es die kommerziell erfolgreichste Shakespeare-Verfilmung bleiben.

Alle weiteren Adaptionsversuche zu der Zeit scheiterten: sowohl Peter Brooks düsterer KING LEAR (GB/DK 1971) mit Paul Scofield, als auch Charlton Hestons doppelte Verkörperung des Marc Antony in JULIUS CAESAR (GB 1970) und ANTONY AND CLEOPATRA (GB/ES/CH 1972). A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM (GB/US 1968) mit einer jungen Judi Dench (33) als Titania und einer noch jüngeren Helen Mirren (22) als Hermia kam in den USA erst gar nicht in die Kinos und wurde direkt ans Fernsehen weitergereicht. Doch es war vor allem Roman Polanskis blutig-realistischer MACBETH (GB/US 1971), den der Regisseur zur selbsttherapeutischen Verarbeitung des Mordes an seiner Frau Sharon Tate durch die Manson-Familie gedreht hatte, der Shakespeares Schicksal als Kassengift besiegelte: der (künstlerisch durchaus wertvolle) Flop sollte für fast 20 Jahre die letzte nennenswerte Verfilmung bleiben – mit der Ausnahme von Derek Jarmans homoerotischem THE TEMPEST (GB 1979), der mit seiner experimentell-rätselhaften Art von vornherein nicht als großer Kinoerfolg angelegt war.

Und dann kam Kenneth Branagh. Wie Olivier wählte der 28-jährige Regisseur das Königsdrama HENRY V (GB 1989) für sein Regiedebüt aus, und stieß damit auf eine ungeahnte Resonanz bei Publikum und Kritik. Die flammende Rede am Morgen der Schlacht von Agincourt zur mitreißenden Musik von Patrick Doyle ist in die Filmgeschichte eingegangen.

Ein Jahr später erreichte Actionstar Mel Gibson als HAMLET (US/GB/FR 1990) unter der Regie von Shakespeare-Altmeister Franco Zeffirelli ebenfalls ein Box-Office-Plus, so dass in der Folge eine wahre Flut an Shakespeare-Filmen losgetreten wurde: von RICHARD III (GB/US 1995) mit einem brillanten Ian McKellen, über den stargespickten A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM (GB/US/IT 1999), in dem sich Michelle Pfeiffer als Elfenkönigin in den eselsköpfigen Kevin Kline verliebt, bis hin zur ersten gelungenen Verfilmung von THE MERCHANT OF VENICE (US/IT/LX/GB 2004) mit Al Pacino als jüdischem Geldverleiher Shylock.

Kenneth Branagh legte selbst nach, mit den wunderbaren Komödien MUCH ADO ABOUT NOTHING (GB/US 1993), LOVE LABOUR’S LOST (GB/FR/US 2000) und AS YOU LIKE IT (GB/US 2006), als Iago neben Laurence Fishburnes OTHELLO (US/GB 1995), und mit dem ersten Versuch einer vollständigen HAMLET-Adaption (GB/US 1996): der komplette, ungekürzte Originaltext, vier Stunden lang, gefilmt in prächtigen Kulissen, mit prominenter Besetzung bis in die kleinsten Rollen. Kommerziell ein Misserfolg, sollte der Film die Shakespeare-Welle aber nicht stoppen, was vor allem Baz Luhrmanns fulminantem ROMEO + JULIET (US/AU/MX 1996) zu verdanken ist. Zwar wurden schon in früheren Verfilmungen die Vorlagen in andere Jahrhunderte oder vom Text abweichende Settings verlegt, doch eine radikal moderne Inszenierung wie diese, mit Popmusik, Hawaiihemden, und schnell geschnittenen Schießereien hatte man noch nie gesehen. Junge wie alte Zuschauer strömten in die Kinos, entdeckten Shakespeare (neu), und besiegelten Leonardo DiCaprios Aufstieg zum Superstar.

Weitere moderne und gewagte Adaptionen folgten, doch keine konnte an den Erfolg des rasanten Liebesdramas anschließen: weder Julie Taymors bildgewaltig-expressive Inszenierungen von TITUS ANDRONICUS (GB/IT/US 1999) mit Anthony Hopkins und THE TEMPEST (US 2010) mit Helen Mirren (diesmal als Prospera), noch Michael Almereydas „Gegenwartsfilme“ HAMLET (US 2000), in dem Ethan Hawke den Sein- oder Nichtsein-Monolog in einer New Yorker Videothek zum Besten gibt, und CYMBELINE (US 2014), in dem sich anstatt Römern und Britanniern eine Biker-Gang und korrupte Cops bekämpfen. Auch Ralph Fiennes Regiedebüt CORIOLANUS (GB 2011) mit verwackelt dynamischen Kriegsszenen à la Kathryn Bigelow, und die schwarzweiß gefilmte Dinnerparty-Version von MUCH ADO ABOUT NOTHING (US 2012) von Marvel-Regisseur Joss Whedon sollten kein großes Publikum mehr für sich gewinnen.

Schließlich blieb auch der apokalyptisch-düstere MACBETH (GB/FR/US 2015) mit Michael Fassbender und Marion Cotillard trotz guter Kritiken und einer fesselnden Inszenierung hinter den kommerziellen Erwartungen zurück und konnte seine Produktionskosten nicht einspielen. Das liegt jetzt fünf Jahre zurück, seitdem gab es keinen ernstzunehmenden Adaptionsversuch für die große Leinwand mehr. Ist das der Beginn einer neuen Shakespeare-Flaute im Kino? Vergehen jetzt wieder 20 Jahre, bis sich jemand aus der Filmbranche an eines von Williams Stücken wagt? Nein, es gibt Hoffnung: Ein neuer MACBETH ist in Planung und hat mit Oscar®-gekrönten Talenten vor und hinter der Kamera ein großes Potenzial. Denzel Washington wird in die Rolle des verrückt werdenden schottischen Königs schlüpfen, als Intrigen spinnende Lady Macbeth steht ihm Frances McDormand zur Seite, und inszeniert wird das Ganze von den Coen Brüdern. Leider musste auch dieser Dreh wegen Corona unterbrochen werden – der häufig genannte Fluch, der auf dem Stück liegen soll, zeigt hier sein Gesicht  –, dennoch kann auf einen Starttermin in 2021 gehofft werden. Bis dahin können wir uns in aller Ruhe Adaptionen aus 125 Jahren Filmgeschichte zu Gemüte führen, und in der Schönheit von Shakespeares englischen Texten schwelgen. Denn wie sagt Iago in OTHELLO: „Pleasure and action make the hours seem short.“