„Im Studio ist man Gott …“

Persönliche Erinnerungen an Sir Kenneth Adam, Production Designer, zum 100. Geburtstag

von Hans-Peter Reichmann

„Die meisten Räume, die man ‚draußen‘ findet, sind rechteckige Schachteln, die keine interessante Kameraperspektive ermöglichen und in denen sich das Licht ständig ändert. Im Studio ist man Gott. Alles lässt sich bauen, und es wird nur dunkel, wenn man es wünscht.“

Im März 2002 war im Berliner Nicolai Verlag die von Alexander Smoltczyk verfasste Biografie: James Bond, Berlin, Hollywood: Die Welten des Ken Adam erschienen. Das Vorwort schrieb Volker Schlöndorff. Hans von Trotha, der damalige Verlagsleiter, hatte in diesem Zusammenhang Verbindung mit dem Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main (heute DFF) aufgenommen. Innerhalb weniger Gespräche entstand der Plan, eine große Ausstellung zum Werk eines der wichtigsten und bekanntesten Production Designer der internationalen Filmgeschichte zu konzipieren. Das Kuratorium sollte ich übernehmen, assistiert von Annette Friedmann. Doch musste erst einmal Kontakt zu dem deutsch-britischen Künstler aufgenommen werden: Ist er überhaupt bereit, sein Arbeitsarchiv für uns zu öffnen?

Telefonanrufe in London. Sima, Assistent im Hause Adam, ist am Apparat: „Please try it again, Mr Adam is taking a nap.“ Ein erneuter Versuch zur empfohlenen Uhrzeit: „Yes, hello!“ … eine klangvolle Stimme … Letizia Adam am anderen Ende. Nach kurzer Vorstellung meines Anliegens der Ruf „Darling“ nach ihrem Gatten … sie verbindet weiter … Ken Adam nimmt den Hörer an der Nebenstelle ab … wir kommen ins Gespräch … und verabreden uns zu einem persönlichen Treffen. Alle künftigen Telefontermine sollten sich nun auch an der Mittagsruhe ausrichten: also, kein Anruf zwischen Noon und 3 p.m., Londoner Zeit.

Ken Adam in seinem Londoner Arbeitszimmer. Foto: Gerald Narr

London, Knightsbridge: Montpellier Street, wenige Schritte von der Brompton Road, ganz in der Nähe des Victoria & Albert Museums und um die Ecke von Harrods, dem Luxuskaufhaus. Die Adresse, das Haus, ist nun Ziel vieler Besuche und Ort ausgiebiger Gespräche mit Ken und Letizia Adam. Die Beiden waren seit 1952 verheiratet und hatten sich bei den Dreharbeiten zu THE CRIMSON PIRATE (Der rote Korsar, US 1952. R: Robert Siodmak) auf Ischia, Letizias Heimat, kennen und lieben gelernt. Letizia war bei allen Produktionen danach dabei, am Drehort, im Hintergrund, immer präsent, wenn nötig . Legendär sind ihre Pasta-Gerichte, die sie für die Mitglieder der Filmcrews zubereitete. Pünktlich erinnerte sie auch gerne an die Five o’Clock Tea Pocket Bottle (mixed with Whisky). Für Ken war Letizia immer die zentrale Ratgeberin. Ein wunderbares, sich ideal ergänzendes Paar. Ihr beider „Darling“ konnte Kriegsruf und verbale Streicheleinheit sein.

„Darling“ war das Wort, mit und über das Letizia und Ken sich beständig ansprachen – liebevoll bittend oder bestimmend fordernd. Die Architektur ihres Hauses erlaubte diese Art der Kommunikation des direkten Zurufs: vom Erdgeschoss, in dem sich das Arbeitszimmer befand, zur Küche im Souterrain oder in den ersten Stock, mit Wohn- und Schlafbereich.

„Think big – ihr müsst im großen Stil denken!“ Eine oft zitierte Aussage von Ken Adam. Wir waren uns schnell einig, dass wir gerade keine große Inszenierung, keine aufwendige Gestaltung unserer gemeinsamen Ausstellung haben wollten. Im Mittelpunkt sollten die Set-Entwürfe, die grandiosen, spektakulären Ideen von Ken Adam stehen. Mit wenigen Strichen seines Flo-Master-Stifts aufs Papier gebracht: „Die Erfindung des Filzstifts war wie eine Befreiung für mich.“ Die Entwürfe wurden so präsentiert, wie er sie an die Wände seines Büros in den Pinewood Studios gepinnt hatte.

Ausstellung im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt am Main: Set-Entwürfe von Ken Adam. Foto: Uwe Dettmar
"Just around the corner": Das Kaufhaus Harrods. Foto: Hans-Peter Reichmann
Ken Adam in seinem Londoner Arbeitszimmer. Foto: Gerald Narr

In den Sichtungspausen gab es Lachs und Toast, von „just around the corner“, der Delikatessenabteilung von Harrods. Stets, und trotz mehrfacher Offerten, lehnte ich den Wein dazu, oder den zu vorgerückter Stunde angeboten Whisky, dankend ab. Meine Zurückhaltung bei alkoholischen Getränken mit der Aussage „thank you, only water“, wurde durchaus akzeptiert, jedoch zu einem Running Gag, der sich in Varianten und Neckereien zwischen Letizia und dem Gast aus Deutschland bei jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholte.

Ken Adams Arbeitszimmer mit seiner Bibliothek liegt im Parterre: eine weiße Platte als Zeichentisch, direkt am Fenster, mit Blick auf die Straße. Rechts daneben, auf einer weiteren Platte, seine beiden Academy Awards (Oscars)® – einer für BARRY LYNDON (GB 1975. R: Stanley Kubrick), der andere für THE MADNESS OF KING GEORGE (GB 1994. R: Nicholas Hytner), auch ein Lifetime Achievement Award der Art Directors Guild (2001). An der Wand darüber u.a. eine Urkunde zur Ehrendoktorwürde des Royal College of Art. Unter den beiden L-förmigen Arbeitsplatten breite, hölzerne Schubladen zweier Planschränke, übervoll belegt mit ersten skizzierten Studien, Zeichnungen, Plänen, Fotografien … Entwürfe für Vehikel, überwiegend allerdings Räume – Bauten – Welten, die jede Wirklichkeit übertrafen.

Ken Adam, geboren am 5. Februar 1921 als Klaus Hugo Adam in Berlin. Seine Familie besaß dort das Sport- und Modegeschäft S. Adam Friedrichstraße / Ecke Leipzigerstraße. 1934 emigrierte die jüdische Familie aus Nazi-Deutschland nach England. Mit 20 Jahren wurde Ken in die Royal Air Force aufgenommen und war der erste und bis 1944 einzige deutsche Jagdflieger der britischen Luftwaffe.

1947 debütierte Ken Adam als Zeichner beim Film (THIS WAS A WOMAN, US 1948. R: Tim Whelan). Bereits 1956 erhielt er, nun Art Director, für AROUND THE WORLD IN EIGHTY DAYS (R: Michael Anderson) seine erste Oscar®-Nominierung. Mit DR. NO (James Bond – 007 jagt Dr. No, GB 1962. R: Terence Young) begann seine Arbeit als Production Designer für die James Bond-Reihe.

„Je schwächer das Drehbuch, desto mehr Freiheiten gibt es für den Production Designer. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass dieser chaotische Agentenplot eine neue Art von Design möglich machen könnte. Es eröffnete sich mir auf eine völlig neue Weise die Möglichkeit, mit Sets zu arbeiten, die ironisch waren, die überlebensgroße Dimensionen hatten und mit neuen Materialien operieren, die unser neurotisches technisches Zeitalter zum Ausdruck bringen konnten.“

Ausstellung im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt am Main: Set-Entwürfe von Ken Adam. Foto: Uwe Dettmar

Für YOU ONLY LIVE TWICE (Man lebt nur zweimal, GB 1967. R: Lewis Gilbert) entwarf er einen der größten und komplexesten Sets, der je in Europa für einen Film gebaut wurde: einen 40m hohen Vulkan mit einem künstlichen, verschiebbaren Kratersee.

„… das Hauptquartier des Bösewichts Blofeld sollte sich in einem erloschenen Vulkan befinden. [Produzent] Broccoli fragte mich nach den Kosten. Ich sagte: ‚Vielleicht eine Million Dollar‘. Er zuckte nicht mit der Wimper und sagte: ‚Gut, wenn es eine Million Dollar kostet, kannst Du es bauen.‘“

Das Vorbild des für GOLDFINGER (GB 1964. R: Guy Hamilton) entworfenen Fort Knox hatte Ken Adam nie in Realita betreten:

„Meine Recherchen brachten mich auch in die Bank von England. Aber da war nichts Publikumswirksames zu sehen. Also entschied ich: Wenn die Zuschauer schon in das größte Golddepot der Welt geführt werden, dann wollen sie Gold sehen, das sich bis zum Himmel türmt. Meine Idee war ein riesiges Gitter, vielleicht zwölf Meter hoch, hinter dem ebenso hohe Stapel von Goldbarren lagern – ein Design, das der Realität diametral entgegengesetzt ist.“

Aus seiner Ideenwelt stammen viele der verrückten Gadgets der Bond-Filme:

„Es war ein Riesenspaß, für die Bondfilme die verrücktesten Fortbewegungsmittel zu erfinden, Autos, Boote, Flugmaschinen, allerlei Unterwasservehikel. Zu meiner großen Überraschung funktionierten diese Fantasiestücke zumeist.“

Die sieben Bond-Filme, die er gestaltete – MOONRAKER (Moonraker – Streng geheim, GB/FR 1979. R: Lewis Gilbert) war sein letzter –, machten ihn weltbekannt und wurden nicht zuletzt durch seine Bauten berühmt.

In der in Frankfurt am Main und Berlin gezeigten Ausstellung erfüllten wir Ken und Letizia Adams Wunsch und zeigten ausschließlich seine Entwürfe, die Gestaltungskunst seiner visionären Filmwelten. Die Originale hingen, an den Ecken mit Designerreißzwecken befestigt, an den Ausstellungswänden (was einige Bond-Aficionados verstimmte, die auch die Bauten und Gadgets in 3D sehen wollten).

Ken Adam – Visionäre Filmwelten. Dr. Strangelove, Goldfinger und andere Filmsets
Deutsches Filmmuseum, Frankfurt am Main (5. Juni bis 15. September 2002)

Ken Adam: James Bond – Berlin – Hollywood. Visionäre Filmwelten
Martin-Gropius-Bau, Berlin (1. November 2002 bis 24. Februar 2003)

Wir nannten uns stets beim Vornamen, blieben aber beim Sie. Neben seinen Montecristo-Zigarren, die er mit Freude und Genuss rauchte, erinnere ich mich, dass er häufig Cord und meist Turnschuhe trug. Jeden Morgen fuhr er zu seinem Club, um im dortigen Swimmingpool einige Runden zu drehen. Für die 15-minütige Fahrt dorthin nutzte er seinen Rolls-Royce Silver Cloud I. Das weiße, zweitürige Cabrio besaß er seit 1975. Er war damit durch ganz Europa gefahren. Jetzt stand das Fahrzeug vor der Hausnummer 34 und diente vielfach als Fotomotiv für Touristen, die durch die Montpellier Street in oder aus Richtung Hyde Park unterwegs waren. Ken Adam liebte besondere, meist schnelle Autos – ehemals besaß er einen Mercedes 540K oder einen Jaguar E-Type. James Bond im Film (Sean Connery) fuhr einen Aston Martin Modell DB5.

Über den Atlantik nach den USA flog Ken mit der Concorde. Er konnte es sich leisten bzw. die Produktionen leisteten sich ihn. Das Label auf einem seiner Koffer kennzeichnete den international gefragten Production Designer als Vielflieger des Überschallflugzeugs der British Airways.

Ausstellungseröffnung im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt am Main: Ken und Letizia Adam mit Volker Schlöndorff (Mitte). Foto: Tanja Göbl
Ken Adam mit Hans-Peter Reichmann (rechts). Foto: Tanja Göbl
Ausstellungseröffnung im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt am Main: Ken Adam am Pult. Foto: Tanja Göbl
Ausstellungs-Finissage im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt am Main: Jan Harlan und Christiane Kubrick. Foto: Tanja Göbl

Auch das Ergebnis der Zusammenarbeit mit Stanley Kubrick in DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben, GB 1964. R: Stanley Kubrick) ist legendär. Vielen geläufig ist jene Anekdote über den US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan:

„Ich weiß aus verlässlicher Quelle, dass Ronald Reagan bei seinem Einzug ins Weiße Haus von seinem Stabschef verlangte, in den War Room geführt zu werden. Man fragte ihn: Welcher War Room? Und er antwortete: Na, der aus Dr. Strangelove.“

Zum Bau des War Room sagte KA:

„Eine riesige Kommandozentrale mit einer dreieckigen Deckenkonstruktion, in der Mitte ein runder Tisch, den wir, obwohl schwarzweiß gedreht wurde, mit grünem Filz bezogen, um Pokerspiel-Atmosphäre zu kreieren. So als ob die Generäle, der Präsident und der russische Diplomat um das Schicksal der Welt pokerten.“

1972 drehte er erneut mit Stanley Kubrick und erhielt für BARRY LYNDON seinen ersten Oscar: „BARRY LYNDON war für mich eine Herausforderung, weil Kubrick gewissermaßen einen ‚Dokumentarfilm‘ des 18. Jahrhunderts machen wollte.“ Retrospektiv sagte er über die Zusammenarbeit mit Stanley Kubrick: „Bis auf das Zeichnen, was er Gott sei Dank nicht beherrschte, konnte er ja praktisch jede Arbeit beim Film selbst durchführen. Das war natürlich eine große Gefahr für alle, die mit ihm zusammenarbeiteten.“

Anlässlich der Finissage (15. September 2002) im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main veranstalteten wir einen Filmabend mit DR. STRANGELOVE und anschließendem Gespräch. Zu Gast waren Christiane Kubrick (sie, sowie ihre Töchter Katharina, Anya und Vivien waren mit den Adams eng befreundet) und ihr Bruder Jan Harlan. Dies war der Beginn eines anderen Projekts und vieler weiterer Begegnungen, auch privat, mit meiner Familie, mit Ken und Letizia Adam: in London und Berlin, dann in Gent, Rom oder Paris. Anlass waren jetzt meist die Eröffnungen der international tourenden großen Stanley Kubrick-Ausstellung, zu denen das Ehepaar Adam als Special Guests und Leihgeber anreisten, doch dies ist eine andere Geschichte…

Sir Kenneth Adam war an etwa 90 Filmen und Filmprojekten beteiligt. Im Jahre 2000 hatte er mit einem spektakulären Bau im Lichthof des Martin Gropius Baus Berlin den zentralen Teil der Millenniumsausstellung Sieben Hügel. Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts gestaltet. Im gleichen Jahr beendete er, auch in Berlin, die Arbeiten an TAKING SIDES (Taking Sides – Der Fall Furtwängler, FR/GB/DE/AU 2001. R: István Szabó).

Kenneth Hugo Adam, ausgezeichnet als Offizier des Ordens des British Empire (O.B.E.), erhielt 2003 in der Queen’s Birthday Honors List für seine Verdienste um das Production Design und die britisch-deutschen Beziehungen den Knight Bachelor des Ordens des British Empire.

Die Zuneigung zu seiner Geburtsstadt Berlin war tief und wurde mit zunehmendem Lebensalter noch intensiver. Jährlich war er zumindest einmal, oft zur Berlinale, dort zu Gast, wohnte mit Letizia im Savoy in der Fasanenstraße, seinem Stammhotel – nur wenige Schritte entfernt vom Theater des Westens und dem Delphi Filmpalast. Das Ehepaar hatte in der Hauptstadt seinen Freundeskreis. 2012 wurde er Ehrenbürger von Berlin. Folgerichtig hat er, noch zu Lebzeiten, sein Arbeitsarchiv nach Berlin, und dort in die Deutsche Kinemathek, gegeben, es kann online unter ken-adam-archiv.de besucht werden. Am 10. März 2016 ist er in London gestorben.

Widmung von Ken Adam für Hans-Peter Reichmann

Titelbild: Ken Adam und Hans-Peter Reichmann im Londoner Arbeitszimmer des Production Designers. Foto: Gerald Narr

Weitere Zitate von Ken Adam – eine Auswahl

„Die Skizze ist das wichtigste Hilfsmittel eines Designers. Eine Schwarzweiß-Skizze ermöglicht mit Licht und Schatten eine Szene zu entwerfen – das Chiaroscuro der Italiener. In meinen Skizzen kann man immer erkennen, von wo das Licht einfällt, oder ob es interne Lichtquellen gibt. Das half mir auch, dreidimensional zu entwerfen. Die erste Rohskizze ist meine Ausgangsbasis. Es folgen detaillierte Skizzen, Arbeitszeichnungen, Modelle.“

Über THE SPY WHO LOVES ME (James Bond 007 – Der Spion, der mich liebte, GB 1977. R: Lewis Gilbert)

„Der Supertanker (stand) als zentraler Set fest. Ich konzentrierte daher meine Energie auf diesen Set: das innere eines Tankers, der drei 130 Meter Polaris U-Boote schlucken sollte. Ich fand keine passende Halle, weder einen Hangar noch ein Studiogebäude, die dafür groß genug gewesen wäre. Als ich das Cubby [Albert Romolo] Broccoli erzählte, sagte er: ‚Bau Dir eine!‘“

„Diese Produktion bedeutete für mich eine Abkehr von linearen Konstruktionen, die ich bis dahin für moderne Designs verwendet hatte. Strombergs offene Wohnräume, die sich über mehrere Ebenen erstrecken, besitzen elliptische und wellenförmige Strukturen. Dieses Designmerkmal setzte ich bis in die Möblierung fort.“

Alle Zitate in diesem Text stammen aus dem Flyer zur Ausstellung im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt am Main 2002.