“… And Maximilian Schell”

Die Vorwürfe, die derzeit gegen Maximilian Schell erhoben werden, nimmt das DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum sehr ernst. Sie stellen die Person, mit deren Werk die Institution sich über Jahre auseinandergesetzt hat – unter anderem in einer umfassenden Sonderausstellung und Publikation, in diversen Filmprogrammen und nicht zuletzt in der Verwahrung des künstlerischen Nachlasses – in ein anderes Licht. Wir lehnen jede Form von sexueller und sexualisierter Gewalt entschieden ab und solidarisieren uns mit ihren Opfern.

Eine Loslösung der Person des Künstlers von seinem Werk kann derartige Vorwürfe, wie sie im Raum stehen, keinesfalls entschärfen. Im Umgang mit unseren Sammlungen und Exponaten bedeutet das, sich respektvoll gegenüber den Betroffenen zu positionieren, gleichzeitig aber keine Zensur vorzunehmen. Auch die Auseinandersetzung mit umstrittenen Aspekten im Lebenslauf berühmter Persönlichkeiten, deren Werke ihren Platz im filmkulturellen Erbe eingenommen haben, gehört zu den Aufgaben unserer Institution.

von Jan Philipp Richter

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts schien der Schauspieler Maximilian Schell von der großen Leinwand verschwunden (…) längst hatte sich der vielseitig begabte Künstler schwerpunktmäßig anderen Aufgaben zugewandt. Neben eigenen Regiearbeiten (unter anderem) der Verpflichtung als Jedermann bei den Salzburger Festspielen (…).

»Last billed actor«

Dass Schells großer Name in den 1990er Jahren durchaus noch gewisses Potenzial hatte, zeigen einige US-Produktionen des ausklingenden letzten Jahrhunderts, die (…) sich mit der Erwähnung Schells bereits im Vorspann schmücken, als last billed actor, (…) der hinter der Hauptbesetzung eines Films genannt wird (…). Meist handelt es sich um eine kleine, aber oft zentrale Nebenrolle im Film – mit weit überdurchschnittlicher Gage. (…)

Welche Art von Rollen spielte last billed actor Schell also und wie lassen sich diese in die Biografie des Künstlers einordnen? Ein Blick in Schells späte Filmographie und die Ausstellung Maximilian Schell, die im wiedereröffneten DFF noch bis 28. Juni zu sehen ist.

LITTLE ODESSA

Regisseur James Gray erzählt in LITTLE ODESSA (Little Odessa – Eiskalt wie der Tod, US 1994) eine Gangstergeschichte um die russisch-jüdische Mafia in Brighton Beach, einem Teil von Brooklyn (…). Arkady Shapira (Maximilian Schell) ist eine europäische Immigrantenfigur der ersten Generation, ein überforderter Vater, der zum Unterhalt der Familie einen Straßenkiosk betreibt. Im Bett liegend schildert er seiner Affäre Natasha (Natalja Andreitschenko) seine Sorgen, fragt sich, was mit seinen Söhnen los sei, er habe ihnen doch immer Mozart vorgespielt, ein Klavier gekauft und jeden Abend vorgelesen.

Diese Szene stellt einen schwer zu übersehenden Verweis auf Schells off-screen persona dar: Nicht nur ist die Frau, neben der er liegt, seine damalige Ehefrau, auch das Klavierspiel und insbesondere seine Liebe zu Mozart thematisiert Schell an vielen Stellen. Das Thema der Familie, das für Schell privat eine sehr große Rolle spielt, ist wiederum zentral im Film. (…)

Blick in die Ausstellung

HAUTNAH
Foto Norbert Miguletz. Quelle DFF
Maximilian Schells Artwork für LITTLE ODESSA in The Hollywood Reporter mit persönlicher Aufforderung, sich den Film anzuschauen. Das Original ist in der DFF-Ausstellung zu sehen.
Brief Maximilian Schells zum Herzensprojekt LITTLE ODESSA, zu sehen in der DFF-Ausstellung.

THE EIGHTEENTH ANGEL

THE EIGHTEENTH ANGEL (The 18th Angel – Im Namen des Bösen, US 1997, R: William Bindley) lässt die Zuschauer eintauchen in die Welt des Okkultismus: Ein Orden mit Sitz in einem italienischen Kloster tritt an, die »ultimative Vereinigung von Wissenschaft und Satan« herbeizuführen, so Father Simeon, Abt des Ordens, gespielt von Maximilian Schell. (…) Was dabei augenfällig wird, ist, dass die dürftige Qualität des Films im harten Kontrast zum Aufspielen Schells steht. Eine Antwort, warum er trotzdem mitspielte, liefert möglicherweise schon seine darauffolgende Rolle.

VAMPIRES

Szenenfotos aus der Pressemappe zu VAMPIRES. Quelle: DFF / Nachlass Maximilian Schell

In VAMPIRES (John Carpenters Vampire, 1998) (…) spielt er erneut einen kirchlichen Würdenträger von zweifelhaftem Ruf. Kardinal Alba (Schell) ist (…) der Verbündete einer Bande von Vampiren, die in dem Horror-Western-Crossover die Präriestädte New Mexicos heimsucht (…) Und erneut lässt sich die Rolle doppelt lesen: Ein Kardinal, der sein Leben unvollendet sieht und es kurz vor seinem natürlichen Ende verlängern will, koste es, was es wolle. Und ein Grandseigneur des Kinos, der nicht von der internationalen Bühne abtreten will, und dafür bereit ist, auch diese obskure Rolle anzunehmen, auf dass sein Name in den opening credits überlebe.

DEEP IMPACT

Szenenfoto aus der Pressemappe zu DEEP IMPACT. Quelle DFF / Nachlass Maximilian Schell

DEEP IMPACT (US 1998, R: Mimi Leder) ist die letzte Hollywoodproduktion eines großen Studios, an der Schell mitwirkte, und es steckt daher eine leise Ironie darin, dass in diesem Katastrophenfilm die Welt untergeht. (…) Dass Blut dicker ist als Wasser, wird nicht nur im Film DEEP IMPACT deutlich, auch Schell selbst beschreibt es als ein zentrales Lebensmotto. (…) Mit dieser Einstellung schließt das letzte Kapitel von »Maximilian Schell der 1990er Jahre« (…).

In MEINE SCHWESTER MARIA (2002, R: Maximilian Schell) verwendet Schell Ausschnitte aus DEEP IMPACT, um das Entschwinden seiner Schwester aus dieser Welt zu illustrieren. Sein Entschluss, für ihre Schulden aufzukommen, um das Familienerbe zu retten, die »Alm als Zentrum der Familie zu erhalten«, mag für ihn nicht nur bedeutet haben, Gemälde zu verkaufen, sondern auch in Filmen von zweifelhafter künstlerischer Qualität wie THE EIGHTEENTH ANGEL oder VAMPIRES mitzuwirken. (…)

Auf einen zweiten Blick ergibt sich allerdings noch eine weitere Lesart der späten Hollywood-Rollen des Maximilian Schell. Nicht als Ausverkauf eines großen Schauspielers sind sie zu sehen, sondern als die letzte große Bühne im internationalen Kino, als ein letztes Leuchtzeichen– ich bin noch da, vergesst mich nicht!

Maximilian Schells künstlerischen Nachlass präsentiert erstmals umfassend das DFF in der Sonderausstellung Maximilian Schell, die noch bis 28. Juni geöffnet ist. Aktuelle Besucherinformationen.

Schell-Katalog

Stark gekürzter und überarbeiteter Auszug aus dem Beitrag zum Begleitband zur Ausstellung: „… AND MAXIMILIAN SCHELL – US-Produktionen der 1990er Jahre”

39,80 Euro
Deutsch: ISBN 978-3-88799-105-0
Englisch: ISBN 978-3-88799-110-4