Maximilian Schell: der Finsterling

Die Vorwürfe, die derzeit gegen Maximilian Schell erhoben werden, nimmt das DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum sehr ernst. Sie stellen die Person, mit deren Werk die Institution sich über Jahre auseinandergesetzt hat – unter anderem in einer umfassenden Sonderausstellung und Publikation, in diversen Filmprogrammen und nicht zuletzt in der Verwahrung des künstlerischen Nachlasses – in ein anderes Licht. Wir lehnen jede Form von sexueller und sexualisierter Gewalt entschieden ab und solidarisieren uns mit ihren Opfern.

Eine Loslösung der Person des Künstlers von seinem Werk kann derartige Vorwürfe, wie sie im Raum stehen, keinesfalls entschärfen. Im Umgang mit unseren Sammlungen und Exponaten bedeutet das, sich respektvoll gegenüber den Betroffenen zu positionieren, gleichzeitig aber keine Zensur vorzunehmen. Auch die Auseinandersetzung mit umstrittenen Aspekten im Lebenslauf berühmter Persönlichkeiten, deren Werke ihren Platz im filmkulturellen Erbe eingenommen haben, gehört zu den Aufgaben unserer Institution.

von Patrick Seyboth

Nach seinem Oscar®-Gewinn als bester Hauptdarsteller in JUDGMENT AT NUREMBERG (Das Urteil von Nürnberg, US 1961, R: Stanley Kramer) und einer weiteren Glanzrolle als smarter Kopf einer Einbrecherbande in TOPKAPI (US 1964, R: Jules Dassin) verkörpert Maximilian Schell in RETURN FROM THE ASHES (Eine Tür fällt zu,  US 1965, R: J. Lee Thompson) zum ersten Mal in seiner Filmkarriere eine betont finstere Rolle, verleiht ihr durch sein Spiel aber einen Facettenreichtum und eine Tiefe, die im Drehbuch kaum angedeutet sind.

Ausstellung bis 28. Juni verlängert

Wer war Maximilian Schell? Noch bis 28. Juni präsentiert das DFF den künstlerischen Nachlass des Multitalents und eines der wenigen deutschsprachigen Schauspieler, die in Hollywood reüssierten. Mehr zur Ausstellung Maximilian Schell im DFF finden Sie hier.

Ausstellung SchellMaximilian Schell
Die Ausstellung zu Leben und Werk Maximilian Schells im DFF hat wieder geöffnet.

Identitätstausch mit sich selbst

Mit dem Motiv eines vertrackten Identitätstauschs erinnert RETURN FROM THE ASHES an (den) Hitchcock-Film VERTIGO (Vertigo – Aus dem Reich der Toten, US 1958): Die jüdische Ärztin Dr. Michèle Wolf-Pilgrin (Ingrid Thulin) kommt Ende des Jahres 1945 zurück nach Paris. Hinter ihr liegen Jahre des Leidens im Konzentrationslager, die sie schwer gezeichnet haben. Stan erkennt sie (…) nicht wieder (…) und fasst gemeinsam mit Michèles Tochter Fabi, mit der er ein Verhältnis hat, einen Plan: Er will diese vermeintlich Fremde als seine vermisste Frau ausgeben und so an ihr Vermögen herankommen.

Der Film basiert auf Hubert Monteilhets Kriminalroman in Tagebuchform, Le retour des cendres (Der Asche entstiegen), der 1961 in Frankreich veröffentlicht wurde. (…) Neben einem französischen Fernsehfilm beruht auch Christian Petzolds vielfach preisgekrönter PHOENIX (DE 2014) mit Nina Hoss und Ronald Zehrfeld lose auf Le retour des cendres. Petzold verlegt die Handlung allerdings nach Deutschland, und konzentriert sich auf den Aspekt der verlorenen, (mit sich selbst) getauschten und neu zu findenden Identität. RETURN FROM THE ASHES bleibt (…) näher am Roman, schwächt allerdings besonders düstere Aspekte ab. Trotz des vergleichsweise freundlichen Ausgangs der Verfilmung sind dessen Weltsicht und Menschenbild ebenso von Pessimismus geprägt. Außer (Michèles Freund) Dr. Bovard sind alle Figuren Getriebene: (…) auch Thulins Figur weist jenseits ihres Traumas als KZ-Überlebende manche Ambivalenz auf. (…) »Ich werde so tun, als ob ich ich selbst sei«, heißt es so bitter im Roman. Dies fügt sich nahtlos in ein erschreckendes Zeitporträt ein. (…)

Vor diesem Hintergrund scheint Maximilian Schells Stanislaus Pilgrin geradezu prototypisch für einen neuen, selbstsüchtigen Nihilismus. (…) Zwischen der Kälte des Strategen, dem Brüten eines Melancholikers, dem spielerischen Charme des Verführers und dem finsteren Vergnügen des Sadisten deutet Schell eine tiefe Zerrissenheit an. Und gerade, weil er sie nicht weiter ausleuchtet, nicht begründet, erzeugt er beim Betrachter eine irritierende Empathie für den abscheulichen Mörder Stan – eine von Schells finstersten und zugleich facettenreichsten Rollen.

Nicht nur in seiner Arbeit, auch im Leben war Maximilian Schell in vielen Rollen zuhause. Er war gefeierter Schauspieler, bewunderter Theater- und Spielfilmregisseur, Kunstsammler, Pianist, Fußballer und vieles mehr. Die Ausstellung Maximilian Schell lädt noch bis 28. Juni zur (Wieder-)entdeckung einer schillernden Künstlerpersönlichkeit ein.

Schell-Katalog

Stark gekürzter und überarbeiteter Auszug aus dem Beitrag zum Begleitband zur Ausstellung: „Identitätstausch – RETURN FROM THE ASHES“

39,80 Euro
Deutsch: ISBN 978-3-88799-105-0
Englisch: ISBN 978-3-88799-110-4