My Darling Quarantine

von Jenni Ellwanger

Was wäre die Welt ohne Filmfestivals?

Die mitreißenden Feiern der Kinovielfalt haben seit den 1990er Jahren einen regelrechten Boom erlebt, mehr als 400 gibt es mittlerweile allein in Deutschland.
In der Corona-Krise werden aktuell zahlreiche Festivals verschoben oder abgesagt und geraten zusehends in existenzielle Bedrängnis.

Chronisch unterfinanziert und oft auf ehrenamtliche Leidenschaft sowie kreative Do-It-Yourself-Lösungen angewiesen, kann die geplatzte Jahresausgabe irreparable Löcher in die Projektstrukturen eines Festivals reißen.

Eine Vielzahl origineller Initiativen hat es sich daher jetzt zum Ziel gesetzt, das Solidaritätsprinzip mit online gelebter Filmkultur zu verbinden – ein aktuelles Beispiel ist das MY DARLING QUARANTINE Kurzfilmfestival, von dem noch die Rede sein wird.

Doch was haben wir einer anhaltenden Krise tatsächlich entgegenzusetzen?

Am Anfang steht das Kino

Kino des DFF

Bei den Festivals macht der auferlegte Kinoentzug jedenfalls nicht halt. Die Kinobranche als solche sieht sich dieser Tage vor einer historischen Herausforderung – ja, historisch. Aus den Kinokrisen der 1960er Jahre, der digitalen Wende und dem Durchbruch der Massenstreaming-Plattformen ist das Kino mit einem Fokus auf seine ganz großen Stärken hervorgegangen: Als sozialer Ort des kulturellen und gesellschaftlichen Austauschs. Als Erfahrungsraum, in dem die Sinne geschärft werden, sobald das Licht ausgeht und das schillernde Medium Film seine volle Wirkung entfaltet.

Genau diese Stärken kommen gegenwärtig vollkommen zum Erliegen – und mit ihnen der Funke, der am Anfang des Filmerlebnisses steht: „Das visuelle und gemeinschaftliche Erleben macht einen großen Reiz, sozusagen die Genese eines Films aus. Die Einnahmen aus Video-on-Demand sind ohnehin nur eine Ergänzung am Ende der Verwertungskette”, macht aktuell der Berliner Kinobetreiber Christian Bräuer in einem Interview mit dem Tagesspiegel deutlich.

Filmkultur ist Kinokultur

Das könnte sich nun grundlegend ändern. Die Kinolandschaft hierzulande und anderswo droht infolge der anhaltenden Corona-Krise dauerhaft Schaden zu nehmen und zusammenzuschrumpfen. Mit gravierenden Folgen auch für die Produktions- und Abspielvielfalt.

Filmkultur ist Kinokultur – deshalb hat der Rückzug auf Streaming-Angebote auf lange Sicht einen schmerzhaft hohen Preis. Und doch – oder gerade deshalb ist die gegenwärtige kreative Explosion der Kino- und Festivalbranche gewaltig. Auch das DFF bleibt seinen Besucher/innen bis auf weiteres online erhalten und bietet vielfältige Angebote, die digital nutzbar sind – von der virtuellen Ausstellung über die Bastelanleitung für das Heimkino hin zu einer wachsenden Zahl handverlesener Tipps aus der Fülle der Web-Angebote.

Tagestipp: MY DARLING QUARANTINE

Am Festivalhimmel ist jetzt zum Beispiel ein Stern aufgegangen, der die Krise kampfeslustig im Namen trägt: MY DARLING QUARANTINE heißt das Online-Kurzfilmfestival, hinter dem Programmmacher/innen namhafter Filmfestivals von Cannes über Locarno bis Tallinn Black Nights stehen. Oberthema des Programms ist „Dystopie“: Wöchentlich sieben von der Festivalcommunity vorgeschlagene Kurzfilme – einer für jeden Tag – werden auf der Plattform talkingshorts.com kostenfrei online gestellt und treten in den Wochenwettbewerb um die Gunst des Online-Publikums. Die Aktion soll laut Festivalmacher/innen bis zum Ende der Corona-Krise andauern und neben dem Filmvergnügen auch Nothilfe mobilisieren. Über GoFundMe werden Spenden gesammelt, von denen 50% an Médecins Sans Frontières gehen und 50% Akteur/innen und Einrichtungen der Filmkultur zugutekommen.

MY DARLING QUARANTINE ist am 16. März in die erste Festivalwoche gestartet, die am Sonntag endet. Unter den sieben Beiträgen der Woche ist beispielweise der dystopische Kurzfilm des Griechen Konstantinos Antonopoulos POSTCARDS FROM THE END OF THE WORLD (GR 2019), der von einer Familie erzählt, die während eines sterbenslangweiligen Inselurlaubs mit dem plötzlichen Ende der Welt konfrontiert ist. Der Film lief letztes Jahr bereits auf Festivals und ist jetzt erstmals öffentlich online verfügbar.

Zur Website des MY DARLING QUARANTINE Festivals auf talkingshorts.com
Zur GoFundMe-Kampagne

Weitere DFF-Empfehlungen unter: dff.film/externe-tipps