Hommage an eine alte Schachtel

von Sarah Hujer

This is just a tribute. Eine Hommage an einen Gegenstand, der im Begriff ist, zu verschwinden und ein Dasein als Sammlerstück zu fristen.

Noch ist dieser Gegenstand präsent, etwa in so manchem Wohnzimmerregal, wo er neben anderen Dingen, die ebenfalls im Begriff sind, zu Sammlerstücken zu werden – wie etwa Büchern – und neben Gegenständen, die bereits zu Sammlerstücken geworden sind – wie etwa Schallplatten (Vinyl!) – den Besucher:innen vor Augen führen soll, welche Vorlieben und Ansprüche die Bewohner:innen den Gästen präsentieren wollen, die während ihrer Besuche scheinbar beiläufig vor den Wohnzimmerregalen entlangschlendern und derweil verstohlen aus den Augenwinkeln, manchmal auch demonstrativ forschend, diese Gegenstände mustern, auf der Suche nach den erwähnten Vorlieben und Ansprüchen der Gastgeber:innen, die sich etwa entlarven durch Sammlungs-Elemente wie IM LAUF DER ZEIT von Wim Wenders (Arthouse-Anhänger! Kino-Nostalgikerin! Langweiler!), oder die Sammlung aller STAR-WARS-Filme, inklusive Sequels und Prequels und Spin-Offs (Blockbuster-Begeisterte! Märchen-Liebhaber! Astronautin!) oder auch das Dreinasenmeerschweinchen… ähhh, Moment, war es  die Achtzahnschildkröte???… naja, Sie wissen schon … (Til-Schweiger-Groupie! Romantiker! Der traut sich wenigstens, zu diesem Film zu stehen und versteckt ihn nicht in der hinteren Reihe!).

Ach, der Satz ist jetzt einfach so zu Ende? Das kam dann doch etwas plötzlich. Immerhin ist heute (25. Februar) der „Tag der SCHACHTELsätze“.

Außerdem fehlt bisher die Information, dass sich der Verlust dieser erwähnten Objekte entscheidend auf die Gesprächskultur an einem „netten Abend mit Freund:innen“ auswirken wird, da niedrigschwellige Gesprächsanlässe wie etwa ein Kommentar zu DER RAUSCH („Den habe ich auch gesehen. Also für meinen Geschmack wird der Konsum von Alkohol in diesem Film zu sehr glorifiziert. Könnte ich noch ein Schlückchen Sekt haben?“) oder zu RICO, OSKAR UND DIE TIEFERSCHATTEN („Den Film finde ich toll. Vor allem, weil er den Kindern gefallen hat und auch für uns Eltern unterhaltsam war. Und bei der Callgirl-Mutti musste ich an unseren Nachbarn denken. Was der beruflich macht ist mir auch nicht ganz klar.“) wegfallen, die infolge der neuen Ausgangslage durch alternative Gesprächseinstiege ersetzt werden müssen, die künftig eben nicht mehr vom ausgestellten Filmgeschmack der Gastgeber:innen ausgehen, sondern allein von den absolut unsichtbaren Filmsammlungen im Gedächtnis der Gesprächsteilnehmer:innen; was bedeutet, dass der Gesprächsanlass nun auf einer zunächst einmal ganz und gar individuellen Film-Erfahrung beruht, deren Eignung als Gesprächsstoff mit den Gastgeber:innen sozusagen im freien Fall erprobt werden muss. Denn auf einen Einstieg wie „Ich habe gestern auf Netflix DON´T LOOK UP gesehen, kennst du den schon?“ kann die jäh jedes weitere Gespräch beendende Antwort folgen: „Nein, leider nicht. Ich habe keinen Netflix-Account.“; und nur im besten Fall die Antwort: „Ja, ich habe den Film kürzlich auch gesehen. Ich fand den wirklich gut/schlecht…“ wodurch sich ein ganzes Spektrum an Gesprächsthemen öffnet, etwa über Parallelen der Handlung zum Klimawandel, über den schauspielerischen Wandel von Leonardo DiCaprio oder über verschiedene Auffassungen von Humor. Doch am Ausgangspunkt solcher eventuell möglichen Gespräche steht immer das Risiko, dass die Gesprächspartner:innen den Film gar nicht kennen und damit die Debatte im Keim erstickt wird, was mit dem an der Schwelle zum Sammlerstück stehenden Gegenstand, um den sich dieser Text dreht, nicht passiert wäre.

Doch es gäbe eine Lösung, geht es  bei diesen besagten Objekten ja nicht um die Filme selbst, die auch in ihrer Daseinsform als DVD oder Blu-ray nicht als solche sichtbar sind, sondern um die Schachteln, in denen sich die Discs befinden, und deren Cover auf den jeweiligen Inhalt verweisen, und die in zweidimensionaler Form wiederkehren könnten, wenn Streaming-Plattformen als neues Feature druckfertige oder digital (TV, Laptop, Tablet) anzeigbare Listen erstellten, die alle von den potenziellen Gastgeber:innen in einem bestimmten Zeitraum gestreamten Filme enthielten, die dann für Besucher:innen ausgehängt oder angezeigt werden könnten – selbstverständlich mit der Funktion, Filme aus dieser Sammlung ausblenden zu können (hintere Reihe im Regal) oder Filme hinzuzufügen, die anzuschauen nie die Absicht bestand, die aber den Vorlieben und Ansprüchen entsprechen, die eine Person gerne von sich präsentieren würde, was dann allerdings zu einer Herausforderung für das möglicherweise hieran anknüpfende Gespräch zu werden droht. Für Nostalgiker:innen könnte diese Filmliste grafisch so aufbereitet werden, dass sie wirkt wie ein Regal voller DVD- und Bluray-Schachtelrücken. Dasselbe wäre auch für Bücher dankbar. Und für Schallplatten.

Titelbild: Blick in eines der vielen Filmsammlungs-Regale unseres Kollegen Michael Kinzer (Medienkurator)