Siegfried Kracauer: Film und Gesellschaft

Was heißt es heute, ‚mit Kracauer‘ ins Kino zu gehen? Die zahlreichen Filmkritiken zum deutschen Kino der Weimarer Zeit, die Kracauer als Redakteur der Frankfurter Zeitung in den 1920er und frühen 1930er Jahren verfasste und auf deren Grundlage er im Exil seine Filmtheorie entwickelte, bilden bis in die Gegenwart einen Ansatz zur Untersuchung der massenkulturellen und zugleich politischen Bedeutung des Kinos.

Als Teil der Internationalen Siegfried-Kracauer-Konferenz, die vom 19. bis 21. Mai 2022 stattfindet, widmet sich in den kommenden drei Monaten eine begleitende Filmreihe Kracauers feinem Sensorium für das Reflexionsmedium Film sowie den gesellschaftlichen Sehnsüchten und politischen Verhältnissen, die darin zum Ausdruck kommen.

Weitere Informationen: www.kracauer-konferenz.de

Filmstill aus El Kant del Ocells. Die schwarz weiß Aufnahme zeigt einen Mann mit Krone auf dem Kopf von hinten und zwei weitere Männer von vorne.

In Kooperation mit

Mittwoch  02.03.2022

18:00 Uhr

DIE STRASSE

Deutschland 1923. R: Karl Grune. D: Anton Edthofer, Aud Egede-Nissen. 35mm
Klavierbegleitung: Uwe Oberg
Einführung und Filmgespräch: Sebastian Staab und Franziska Wildt (Institut für Sozialforschung, Goethe-Universität Frankfurt)
Filmreihe: Siegfried Kracauer: Film und Gesellschaft

In DIE STRASSE verbindet Regisseur Karl Grune Expressionismus und Realismus: Ein Kleinbürger entflieht dem Heim und folgt den Reizen der Straße, wo er in einen Mord verwickelt wird. Siegfried Kracauer nennt den Film eine Meisterleistung, weist aber auch auf dessen Ideologie hin: Die Gefahr der Straße führt zum Ruf nach Autorität.

Mittwoch  16.03.2022

18:00 Uhr

EL CANT DELS OCELLS

Spanien 2008. R: Albert Serra. D: Lluís Carbó, Lluís Serrat Batlle. 98 Min. DCP (Formatänderung). OmeU
Original version with English subtitles
Einführung und Filmgespräch: Anne Gräfe (AdBK München)
Filmreihe: Siegfried Kracauer: Film und Gesellschaft

Albert Serras EL CANT DELS OCELLS stellt nur vordergründig ein Reenactment der wohlbekannten Reise dreier Könige zur Heiligen Familie dar. Subtil zeigt der Film in langen Kameraeinstellungen zugleich, wie die mühselige Suche des richtigen Stalls mitunter zu einem langatmigen Unterfangen werden kann – ganz im Sinne Kracauers, für den physische Realität in einzigartiger Weise durch Film enthüllt werden kann.

Mittwoch  23.03.2022

18:00 Uhr

LEVIATHAN

USA/Frankreich/Grossbritannien 2013. R: Lucien Castaing-Taylor, Véréna Paravel. Dokumentarfilm. 87 Min. DCP. OmU
Original version with German subtitles
Einführung und Filmgespräch: Felix Trautmann (Institut für Sozialforschung, Goethe-Universität Frankfurt)
Filmreihe: Siegfried Kracauer: Film und Gesellschaft

Ein Fischtrawler im Nordatlantik auf dem Weg durch die Nacht. Wogende Wellen, stürmischer Wind, Schwärme von Möwen, Maschinengetöse und zwischendrin: arbeitende und erschöpfte menschliche Körper, ein paar lebende und Unmengen toter Fische. LEVIATHAN konfrontiert uns mit dem Alltag der Hochseefischerei, zieht uns regelrecht in diesen hinein. Als experimenteller, fast künstlerischer Dokumentarfilm eröffnet er eine post-anthropozentrische Perspektive auf das Leben, zu der Kracauer zufolge das Kino eine besondere Affinität hat.

Mittwoch  30.03.2022

18:00 Uhr

Film-Performance REAR WINDOWS

Performance: Lena Appel, Anneliese Ostertag, Amina Szecsödy
Kurzfilme
SHE PUPPET
2001. R: Peggy Ahwesh. 15 Min. OF
GROUNDING
2018. R: Klara Lidén. 6 Min. OF
TOMBÈE DE NUIT SUR SHANGHAI
2007–2009. R: Chantal Akerman. 14 Min. OF
BUENOS AIRES (PARC CENTRAL SERIES)
2003. R: Dominique Gonzalez-Foerster. 4 Min. OF
Filmreihe: Siegfried Kracauer: Film und Gesellschaft

Die Performance Rear Windows erforscht die Interaktion zwischen Theater, Liveness und Kinoleinwand. Im Sinne des Künstlers, Kurators und Schriftstellers Ian White sowie Kracauers ethnographischer Methode der Kritik, die er insbesondere in dem 1930 erschienen Buch Die Angestellten erarbeitete, geht die Performance der Frage nach, wie das, was wir sehen, von dem geprägt wird, womit wir es sehen. Daraus folgt eine essayistische Reflexion über Kino und Performance als jeweils spezifische physische Räume und Kunstformen.
The performance Rear Windows explores the relationship between theatre, liveness, and cinema. It is an experiment in radical cinema that renegotiates the possibilities of interacting with the cinema screen. In the spirit of artist, curator, and writer Ian White (1971–2013) as well as Siegfried Kracauer's partly ethnographic method of critique, which he elaborated in particular in his study The Salaried Masses (1930), Rear Windows poses the question, how what we see is shaped by what we see it with. What follows is an essayistic reflection on cinema and performance, both as physical environments as well as art forms.