ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG / NACHRICHTEN AUS DEM HOMEOFFICE

von Barbara Dierksen

Wie die meisten meiner Kolleg/innen mache ich derzeit Homeoffice. Alles ist anders. Keine Büroluft mehr, vorbei mit der wirbelnden Geschäftigkeit in unserem Filmbildungs-Büro, niemand mehr, der zwischendurch kurz reinschaut, auf der Suche nach einer Person, nach einer Information, nach einem Gespräch – manchmal auch nur nach etwas Süßem, das sich bei uns fast immer findet. Der Blick aus dem Fenster ist ein anderer, hier in unserem eher ruhigen Viertel am Stadtrand. Schaue ich sonst in den Himmel, oder, wenn ich durch die Flure des 5. Stocks des Museumsgebäudes laufe, auf das Mainufer oder die Skyline, dann sehe ich jetzt Wiesen, Eichhörnchen und Gartengerät. Viele der Nachbar/innen sind zu Hause und werkeln zwischendurch in den Gärten, räumen die Keller auf, renovieren hier und da, versuchen die Kinder bei Laune zu halten. Dass ich unser Büro mit seiner steten Geräuschkulisse so schnell vermissen würde, hätte ich nicht gedacht.

Und auch die Gerüche sind ganz anders als im Museum, hausgemachter, und, das ist wahrscheinlich der gravierendste Unterschied: schaue ich vom Laptop auf, ist da niemand mehr, dem ich zunicken oder mit dem ich mich kurz austauschen kann. Immerhin, das Internet funktioniert verlässlich, wir können telefonieren und skypen und uns so nicht aus den Augen verlieren. Ein schöner Nebeneffekt: Endlich lerne ich auch die privaten Arbeitszimmer meiner Kolleg/innen kennen. Viele tolle Filmplakate hängen an den Wänden.

Dann sind da noch die Abende, die in süßer Länge vor uns liegen. Etliche Filme, manche auf DVD, die schon lange darauf warten gesehen zu werden, viele davon Rainer Werner Fassbinder-Filme. In den letzten Tagen habe ich mir ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG vorgenommen, Fassbinders 5-teilige Fernsehserie, die er 1972 für den WDR produziert hat, und die ich nach langer Zeit endlich wieder sehen darf. Insgesamt acht Stunden Länge.  Es war damals die erste TV-Serie, die im Arbeitermilieu spielte und handelt vom Arbeitsalltag einer Gruppe von Werkzeugmachern und davon, wie eng Berufsleben und Privatleben miteinander verknüpft sind. Im Mittelpunkt steht das Liebespaar Jochen und Marion, wundervoll gespielt von Gottfried John und Hanna Schygulla. Um sie herum entspinnen sich Miniaturen von Geschichten, die genauso charmant wie lebensklug erzählt werden: Jochens Oma verliebt sich neu und sucht mit ihrem Geliebten Gregor eine gemeinsame Wohnung für höchstens 200 Mark, und macht mit ihm kurzerhand einen Kindergarten in einem leerstehenden Gebäude auf, damit die Kinder nicht auf der Straße spielen müssen. Monika hat ein Auge auf den besten Freund von Jochen geworfen, möchte ihren autoritären Mann Harald verlassen und endlich arbeiten gehen, Marions Kollegin Irmgard wirft ihre Vorurteile gegenüber Arbeitern über Bord, als sie den Werkzeugmacher Rolf kennenlernt.

Es geht um Themen, die noch immer oder gerade wieder hochaktuell sind: überhöhte Mieten, Mitbestimmung, Rassismus, Generationenkonflikte, fehlende Kindergärten und um so universelle Themen wie die ewige Suche nach Liebe, Glück und Vertrauen. „8 Stunden“ ist in Fassbinders Schaffen ein wirkliches Unikat, geschrieben für ein breites Publikum, um ihm, wie er gesagt hat, Mut zu machen. Und es zeigt am Beispiel der Arbeiter um die Hauptfigur Jochen, was Solidarität und Courage als Gemeinschaft bewirken können.

Filmstill
Foto: Peter Gauhe. DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum / Sammlung Peter Gauhe

Fassbinders Serie ist durchdrungen von diesem Mut zur Veränderung, zu einem Anders- und Neudenken, einer Positivität, nicht typisch für Fassbinders Werk, aber dafür gerade in den momentanen Zeiten glücklich machend. Fassbinder selbst beschreibt das so:  „(…) Und viel von Solidarität. Die Momente kennt doch jeder, wo man mit ein paar anderen zusammen ‚in einem Boot sitzt‘ und plötzlich spürt, man ist zusammen und da kann was draus werden, das ist gut für alle, und man ist nicht allein. Auch darum geht‘s.“ Ja, vielleicht geht es auch darum. Die Serie ist in einer restaurierten Fassung auf DVD erschienen – und es ist toll, all diesen besonderen und so ganz eigenen Schauspieler/innen aus Fassbinders engem Universum zuzuschauen: Luise Ullrich, Werner Finck, Irm Herrmann, Kurt Raab, Brigitte Mira, Margit Carstensen, Ulli Lommel, Peter Gauhe, und selbst die kleinste Nebenrolle hat der Regisseur mit sicherer Hand besetzt – etwa die legendäre Tänzerin Valeska Gert als „Ersatzoma“. Wer sich also ein paar außergewöhnliche TV-Stunden machen möchte, jetzt, wo wir nicht in die Kinos können, dem sei ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG sehr empfohlen. Ein wichtiger Ausschnitt aus Fassbinders Werk. Eine Familienserie, die man in diesen Tagen mit, aber auch ohne Familie anschauen kann. Sie macht neugierig auf das ganze große Werk dieses radikalen Künstlers, der im Mai 2020 seinen 75. Geburtstag feiern würde und dessen Schriftgutnachlass, Text- und Fotoarchiv im letztem Jahr im Archiv- und Sammlungszentrum DFF Fassbinder Center, Frankfurt eine neue Heimat gefunden hat.